Fünf Anläufe brauchte es, damit es sie endlich gab: eine Untergrundbahn durch Warschau. Dabei lesen sich die vielen Bauabbrüche wie eine kurz gefasste Geschichte Polens. Denn Warschau war von Russland und Nazideutschland besetzt, doch auch die Weltwirtschaftskrise, die Nachkriegszeit und die Kostenexplosion in den 1980ern machte das lange Warten beinahe zu einem Beckettschen. Unsere Warschau-Autoren Jan Szurmant und Magdalena Niedzielska haben sich durch die Geschichte der Untergrundbahn gewühlt.
Die Geschichte der Warschauer Metro ist eine Geschichte des Wartens und der Geduld. Warum es mit der Fertigstellung so lange dauerte, erklärt sich durch die politischen und wirtschaftlichen Wirren der polnischen Hauptstadt. Während um 1900 in vielen europäischen und amerikanischen Metropolen mit dem Bau einer U-Bahn begonnen wurde, stand Warschau unter russischer Besatzung. Erst nach dem Ersten Weltkrieg begannen konkrete Planungen, die ersten Arbeiten im Jahr 1925. Doch die Weltwirtschaftskrise verhinderte einen umfassenden Baubeginn. Recht weit fortgeschritten waren dann die vom Stadtpräsidenten Stefan Starzyński forcierten Entwürfe: Sie galten für die Zeit ab 1939. Im September wurde Polen aber von Hitlerdeutschland besetzt, was den sofortigen Baustopp bedeutete.
Wo die Träume in den Untergrund wuchsen
Trotz Aufbruchstimmung nach Kriegsende und beginnender Tunnelarbeiten erhielt Warschau anders als andere Hauptstädte des Ostblocks auch in den 50er Jahren keine Metro. Zum einen wurde ein Großteil der Arbeitskräfte und Geldmittel für den Wiederaufbau eingesetzt, zum anderen plante man in der Sowjetunion in überzogenen und deshalb nicht verwirklichten Dimensionen. So wurde nicht nur eine ähnlich luxuriöse U-Bahn wie in Moskau angestrebt – als Imagemaßnahme gegen antikommunistische Tendenzen in Polen –, sondern auch ein militärisch nutzbarer Bau: Die Untertunnelung Warschaus in einer Tiefe von 46 Metern sollte gleichzeitig dem unbemerkten Truppentransport der Roten Armee unter der Weichsel hindurch dienen! Wie weit die riesigen Röhren in Richtung des kapitalistischen Westens führen sollten, ist unter Historikern umstritten. Einige behaupten, dass Warschau und Berlin durch einen Tunnel verbunden werden sollten. Unvorstellbar bei den heutigen Kosten für einen Tunnelbau … Schon die damaligen Aufwendungen verhinderten die Metro in den 80er Jahren zum fünften Mal.
Von 1995 bis 2018 – der Bau beginnt doch noch
1995 wurde dann doch noch die erste Linie in Betrieb genommen, die Strecke sukzessive verlängert. Blau gekennzeichnet, führt sie vom Norden in den Süden der Stadt. Na endlich, was lange währt, fährt endlich gut, sagten sich die Warschauer.
Rund 20 Jahre später muss man sich für ein zweites »Na endlich!« noch gedulden. Die rote Linie von Mory im Westen bis Bródno, Kozia Górka oder Goclaw auf der rechten Weichselseite soll in Etappen bis 2018 fertiggestellt sein.
Das erste Teilstück war für Ende 2014 projektiert. Vor den Kommunalwahlen im Herbst gab es bereits feierliche Eröffnungszeremonien, um die Wähler mit der gelungenen Infrastrukturpolitik zu beeindrucken. Nachdem die Bürger ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle gemacht hatten, konnte man sich dann wieder richtig Zeit lassen. Mit einer pünktlichen Eröffnung wurde es sowieso nichts, da die ersten Züge schon zur EM 2012 die Fußballfans transportieren sollten …
Einen Erfolg konnten die Architekten und Ingenieure dafür vor ein paar Jahren verbuchen: Auf der Metrorail 2008 wurde der U-Bahnhof Plac Wilsona als schönste Station der Welt ausgezeichnet.