Top Ten

Teil 16: London
oder Graffiti, Goldfinger und eine Seilbahn

Skifahrer kennen sie: die Firma Doppelmayr. Doch was – um alles in der Welt – hat sie an der Themse verloren? Wo liegt der stimmungsvollste Friedhof der Metropole, den sogar Karl Marx als letzte Ruhestätte gewählt hat? Wer ist das Vorbild für den James-Bond-Bösewicht Goldfinger? Und in welchem Viertel ist die Graffiti-Szene am stärksten ausgeprägt? Diesen und anderen Fragen ging Ralf Nestmeyer nach: in seinem neuesten London-Reiseführer – und in dieser Top Ten.


London – Ralf Nestmeyers Top Ten

Unterwegs mit der Seilbahn: Emirates Air Line

»Mit der Seilbahn über die Themse« klingt wie ein Witz, doch seit Juni 2012 »fliegt« Emirates Air Line mit einer Seilbahn in einer Höhe von 90 Metern in knapp fünf Minuten in North Greenwich beim The O2 (Ex-Millenium Dome) über den Londoner Stadtfluss. Skifahrer haben ein kleines Déjá-vu-Erlebnis, denn die Fahrgäste erwartet die gewohnte Doppelmayr-Qualität. Nur die Boxen für die Skier fehlen, dafür dürfen bis zu zwei Fahrräder mitgenommen werden …
Man erreicht die südliche Station der Seilbahn mit der Jubilee Line oder den Thames Clipper Schiffen (North Greenwich), die nördliche Station mit der DLR, der Docklands Light Railway (Royal Victoria).
Tgl. 7-21 Uhr, Sa 8-21 Uhr, So 9-21 Uhr. Kosten £ 4.50, erm. £ 2.50, mit der Oyster Card £ 3.40, erm. £ 1.70 (jeweils einfach). www.emiratesairline.co.uk.


Essen und Trinken: St John

Das St John mit seinem wohltuend unterkühlten Ambiente gilt als eines der einflussreichsten englischen Restaurants der letzten Jahre (ein Michelin-Stern) und hat einen neuen ethischen Kochstil geprägt. Deshalb werden hier nicht nur Lende und Steaks serviert, sondern auch viele Innereien und andere, auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftige Kreationen: geröstetes Knochenmark auf Vollkornbrot mit Petersiliensalat, Lammherzen mit Kohlrüben, Schweinekutteln mit Löwenzahn oder ein lauwarmer Schweinskopfsalat.
Der Besitzer Fergus Henderson plädiert für den Verzehr des ganzen Tieres und hat Kochbücher mit so vielsagenden Titeln wie »Nose to Tail Eating« oder »The Whole Beast« geschrieben. Doch, keine Sorge: Vegetarische Gerichte gibt es auch, wobei man sich in Sichtweite des Londoner Fleischgroßmarktes befindet …
Die Hauptgerichte kosten zwischen £ 15-25. Samstagmittag und Sonntag geschlossen. 26 St John Street, U-Bahn Barbican Station, Tel. 020/72510848. www.stjohnrestaurant.co.uk.


Graffiti und Street Art: Durchs East End

Street Art in East End (Foto: Ralf Nestmeyer)
Street Art in East End (Foto: Ralf Nestmeyer)

Wer mit offenen Augen durch die Brick Lane und die angrenzenden Straßenzüge streift, kann an den Häuserfassaden, Toren und in den Hinterhöfen zahlreiche bunte Graffiti entdecken.
Die Schriftzüge, Drucke, Einkerbungen und gesprühten Botschaften finden sich zwar in jeder Großstadt, aber das Londoner East End ist schon seit langem für seinen Reichtum an künstlerisch ansprechender Street Art bekannt. Zu den Vorreitern gehören King Robbo und Banksy, dessen oft mit politischen Botschaften verbundene Schablonen-Graffiti als moderne Klassiker gelten. Andere Street-Art-Künstler wie Stik haben erst in den letzten Jahren die Fassaden »erobert«. Seine berühmten Strichmännchen erzielten bereits fünfstellige Erlöse …
Street Art stellt die Weiterentwicklung und den künstlerisch aussagekräftigen Zweig einer Graffiti-Bewegung dar, die längst der jugendlichen Subkultur entwachsen ist. Oft werden nicht nur Backsteinmauern sowie Türen und Fenster, sondern auch Mülleimer und Stromkästen in die Kunstwerke integriert. Die bunten Spraybilder gelten schon lange nicht mehr als illegale, anarchische Schmierereien, sondern als Kunst im öffentlichen Raum, die mit ihrer »Message« nicht nur einen privilegierten Personenkreis erreicht. Wobei die Behörden da manchmal anderer Meinung sind – und beispielsweise 2007 das berühmte Banksy-Bild mit John Travolta und Samuel L. Jackson wegputzen ließen …
Street-Art-Touren durch London können gebucht werden: www.streetartlondon.co.uk.


Baden in London: Bathing Ponds im Hampstead

Der Londoner Sommer ist zwar selten tropisch, aber dennoch übersteigen die Tempraturen oft die 25-Grad-Marke. Wer Lust auf Abkühlung hat, dem steht neben mehreren Hallenbädern auch ein künstlicher See zur Verfügung: die Serpentine. Der Lido wiederum ist eines der wenigen Londoner Freibäder; allerdings muss man manchmal zwischen Schwänen hindurchkraulen …
Als Geheimtipp gelten die drei Badeseen (Bathing Ponds) in Hampstead Heath, einer Grünanlage im Norden der Stadt. Es gibt einen besonders schönen See nur für Frauen (Kenwood Ladies› Pond), einen nur für Männer (viel Gay-Publikum) und einen für beiderlei Geschlechter (Mixed Bath Pond). Eine verschworene Gemeinschaft kommt hier übrigens jeden Tag zum Schwimmen her – auch im Winter bei Schneefall!


Zucker und Sklaverei: Museum in den Docklands

Londons Geschichte ist untrennbar mit der Themse verbunden. Der Fluss war und ist zum Teil noch immer die Lebensader der Stadt.
Das in einem ehemaligen georgianischen Zuckerspeicher untergebrachte Museum schildert anschaulich die Bedeutung der Themse für London und die Menschen von der Antike bis zur Gegenwart, wobei auch ein schönes Modell der mittelalterlichen London Bridge gezeigt wird. Da der Aufstieg Londons zu einer der führenden Handelsmetropolen der Welt untrennbar mit seinem Hafen verbunden ist, werden mit Hilfe von Filmen und Displays zahlreiche Fragen erörtert, beispielsweise wie sich der Handel am Ende der Frühen Neuzeit veränderte oder wie der Alltag der Dockarbeiter im frühen 19. Jahrhundert ausgesehen hat. Um dies besser nachvollziehbar zu machen, hat man ein ganzes Hafenviertel mit schmalen Gassen und schäbigen Häusern nachgebaut.
Der Ausstellungsbereich »London, Sugar & Slavery« informiert, wie London seit dem 17. Jahrhundert von der Sklaverei profitiert hat. Die wachsende Nachfrage nach Kaffee und Zucker war einer der Hauptgründe für den damaligen Menschenhandel. Die Sklaverei war ein gigantischer Wirtschaftszweig, von dem Reeder und Sklavenhändler genauso profitierten wie Plantagenbesitzer, Zuckerimporteure und Schokoladenfabrikanten. Erst den Abolitionisten – der Name stammt vom englischen Verb »abolish« (»abschaffen«) – gelang mit Boykottaufrufen, Petitionen und Flugblattpropaganda der entscheidende Erfolg: Am 25. März 1807 verbot das Parlament den Handel mit Sklaven auf britischen Schiffen.
Weitere Themen sind Londons Handelsgeschäfte unter Königin Victoria und im Zeitalter des Imperialismus (»First Port of Empire«), die Zerstörung der Docklands im Zweiten Weltkrieg, die Schließung der Docks und die Pläne und Baumaßnahmen; Letztere haben die Docklands in den letzten Jahrzehnten nochmals entschieden verändert.
Warehouse Nr. 1, U-Bahn West India Quay. Tgl. 10-18 Uhr. Eintritt frei! www.museumoflondon.org.uk.


Zu Besuch bei Mister Goldfinger: 2 Willow Road

Hier lebte ein gewisser Goldfinger … (Foto: Ralf Nestmeyer)
Hier lebte ein gewisser Goldfinger … (Foto: Ralf Nestmeyer)

»Goldfinger« ist noch heute einer der berühmtesten James-Bond-Filme, vor allem dank Gert Fröbe in seiner Rolle als goldgieriger Bösewicht. Weniger bekannt ist, dass Bond-Autor Ian Fleming, der in der Willow Road wohnte, den Namen des erfundenen Bösewichts von seinem Nachbarn Erno Goldfinger »entliehen« haben soll. Warum das? Fleming mochte die modernen und minimalistischen Bauten des ungarisch-britischen Architekten nicht sonderlich …
Dabei sei gesagt: Das von Erno Goldfinger 1937 errichtete Wohnhaus ist eines der wenigen Londoner Gebäude, die den Geist des Modernismus atmen. Mehr als 40 Jahre hat Goldfinger (1902-1987) hier zusammen mit seiner Familie gelebt. Der Baumeister war mit vielen Künstlern befreundet und hat eine wertvolle Sammlung moderner Kunst mit Werken von Henry Moore, Max Ernst, Roland Penrose und Bridget Riley zusammengetragen.
2 Willow Road, U-Bahn Hampstead. Von April bis Okt. Mi-So Führungen um 11, 12, 13 und 14 Uhr, freie Besichtigung 15-17 Uhr. Eintritt £ 6.50, erm. £ 3.25. www.nationaltrust.org.uk.


Im Reich des Todes: Highgate Cemetery

Der bekannteste und stimmungsvollste Friedhof Londons (Foto: Ralf Nestmeyer)
Der bekannteste und stimmungsvollste Friedhof Londons (Foto: Ralf Nestmeyer)

Der im Nordosten von Hampstead gelegene Highgate Cemetery ist der bekannteste Friedhof Londons. 1839 eröffnet, wurde er schon bald zur beliebten letzten Ruhestätte für wohlhabende viktorianische Familien, zu denen beispielsweise auch der Physiker Michael Faraday gehörte. Faradays Grab liegt im West Cemetery, der nur im Rahmen einer Führung zugänglich ist.
Der West Cemetery mit seinen mit Efeu und Farnen überzogenen Wegen ist der älteste und stimmungsvollste Teil von Highgate; er ist von hohen Mauern umgeben und präsentiert sich als ein verwunschenes Reich des Todes mit Engelstatuen, Obelisken, Mausoleen und Katakomben. Ein eindrucksvolles Denkmal britischer Friedhofskultur!
Den East Cemetery darf man hingegen auf eigene Faust erkunden, wobei die meisten Besucher vor allem das monumentale Grab von Karl Marx ansteuern, der hier zusammen mit seiner Frau Jenny von Westfalen, der gemeinsamen Tochter Eleanor und weiteren Familienmitgliedern ruht – wie der ehemaligen Haushälterin Helene Demuth, mit der Marx 1851 einen Sohn zeugte. »Workers Of All Lands Unite« steht auf dem klobigen Granitsockel mit dem überdimensionalen Bronzekopf, vor dem sich schon Chruschtschow, Breschnew und Dutzende anderer kommunistischer Führer verneigt haben.
Unweit von Marx ruhen die Schriftstellerin George Eliot (deren Werk »Middlemarch« als bedeutendster britischer Roman gilt) und der Philosoph Herbert Spencer, der als Begründer des kalten und menschenverachtenden Sozialdarwinismus bekannt wurde.
Swain’s Lane, U-Bahn Archway. Tgl. 10-17 Uhr, am Wochenende ab 11 Uhr, im Winter von 10-16 Uhr, am Wochenende ebenfalls ab 11 Uhr. Eintritt £ 4, erm. £ 2. Führungen über den West Cemetery finden am Wochenende um 11, 12, 13, 14 und 15 Uhr statt, im Sommer auch um 16 Uhr. Kosten £ 12. erm. £ 6 (inkl. East Cemetery). www.highgate-cemetery.org.


Das Käseparadies: La Fromagerie

Ein Paradies, nicht nur für Käsefreunde (Foto: Ralf Nestmeyer)
Ein Paradies, nicht nur für Käsefreunde (Foto: Ralf Nestmeyer)

Die Marylebone High Street ist ein Paradies für Foodies. Und in einer Seitenstraße lockt mit La Fromagerie ein echter Tempel für Käseliebhaber. Egal ob von Kuh, Schaf oder Ziege, hier finden sich veredelte Käsesorten aus ganz Europa, darunter selbst seltene Sorten wie Banon oder ein Bio-Roquefort.
Im zugehörigen Feinkostladen gibt es auch Weine, Wurst, Obst oder frische Backwaren. Lohnend ist außerdem eine Einkehr ins angeschlossene Tasting Café. Man sitzt an einem kommunikativen Zwölfer-Tisch oder an einem der drei kleineren Tische und erfreut sich beispielsweise an einer leckeren, selbst zusammengestellten Käseplatte.
2-4 Moxon Street, U-Bahn Baker Street. Mo 10.30-19.30, Di-Fr 8-19.30, Sa 9-19 Uhr, So 10-18 Uhr. www.lafromagerie.co.uk.


Bei Georg und Jimi: Musikerlegenden

Hendrix Flat – ob es da jemals so aufgeräumt war … (Foto: Ralf Nestmeyer)
Hendrix Flat – ob es da jemals so aufgeräumt war … (Foto: Ralf Nestmeyer)

Der Komponist Georg Friedrich Händel (1685-1759) verbrachte einen großen Teil seines Lebens in London, wo er seine berühmtesten Werke verfasste. Die Einrichtung seines einstiges Wohnhaus ist von der Tapete bis zum Vorhang weitgehend im georgianischen Stil rekonstruiert. Im ersten Stock empfing Händel seine Gäste. Das Vorderzimmer, wo einst eine kleine Hausorgel und ein Cembalo standen, diente ihm als Musikzimmer.
Über den gleichen Eingang gelangt man auch zum »Hendrix Flat«, das erst seit 2016 für Besucher geöffnet ist. Der US-Gitarrist und Sänger Jimi Hendrix wohnte vom Sommer 1968 bis zum Frühjahr 1969 neun Monate lang – ausgerechnet und zufällig – im Nachbarhaus von Händel. Sein im dritten Stock gelegenes Apartment wurde nach Originalfotos restauriert und eingerichtet. Zudem kann man in einer Nachbildung von Hendrix‹ Plattensammlung stöbern.
25 Brook Street, U-Bahn Bond Street. Tgl. 11-18 Uhr, So ab 12 Uhr. Eintritt £ 10, erm. £ 5.50 oder nur Handel House £ 7.50, erm £ 3. www.handelhendrix.org.


Cabinet War Rooms: In der Schaltzentrale der Macht

Der größte Brite aller Zeiten – auf dem Sockel (Foto: Ralf Nestmeyer)
Der größte Brite aller Zeiten – auf dem Sockel (Foto: Ralf Nestmeyer)

Nirgendwo kann man den Zweiten Weltkrieg in London authentischer erleben als in den Cabinet War Rooms, denn die »Kabinettsräume«, von denen aus Winston Churchills Regierung im Zweiten Weltkrieg den Kampf gegen Deutschland aufnahm, sind im Originalzustand erhalten.
Wer jetzt an üppig ausgestattete Konferenzräume denkt, wird sich verwundert die Augen reiben: Die Cabinet War Rooms sind nichts anderes als eine zur Kommandozentrale ausgebaute Bunkeranlage. Diese unterirdischen Räume vermitteln einen hervorragenden Eindruck von der Zeit des Zweiten Weltkrieges, auch wenn man sich den Lärm, die Enge und die Hektik, die damals geherrscht haben müssen, nur schwer vorstellen kann. Die beiden wichtigsten Räumlichkeiten waren das Sitzungszimmer des Kabinetts und der Kartenraum, in dem die exakten Truppenbewegungen vermerkt wurden, obwohl sich die meisten Besucher eher für Churchills Schlafzimmer inklusive Nachttopf interessieren …
Das Churchill Museum (das einen Teil der Cabinet War Rooms ausmacht) zeigt eine interessante Dauerausstellung über das Leben von Sir Winston Churchill (1874-1965), den seine Landsleute für den »größten Briten aller Zeiten« halten. Die Besucher schreiten eine fünfzehn Meter lange »Lebenslinie« ab, die mit interaktiven Touchscreen-Funktionen versehen ist. Anhand von Film- und Tondokumenten sowie persönlichen und teil skurrilen Gegenständen wie einem Taufkleid oder einer abgekauten Zigarre, kann man sich ein eindrucksvolles Bild über das Leben und Wirken Churchills verschaffen.
King Charles Street, U-Bahn Westminster. Tgl. 9.30-18 Uhr. Eintritt £ 17.25, erm. £ 13.80, Kinder unter 16 Jahren frei! www.iwm.org.uk.

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