»Was gibt es Schöneres«, fragt Michael Bussmann, »als am Abend dazusitzen mit einem Gläschen Inselwein, während sich das fangfrische Thunfischfilet auf dem Grill bräunt? Einzuschlafen mit Meeresrauschen und den Gesängen der Gelbschnabelsturmtaucher ("Aua-aua-aua-äääh-ääh«) als Wiegenlied? Und beim Morgenkaffee eine Walschule vorüberziehen zu sehen?" Das alles (und noch viel mehr) erlebt man auf den Azoren. Sofern man weiß, wohin man dafür gehen muss. Da passt es gut, dass das umfassende Inselkompendium soeben in 6. Auflage 2016 erschienen ist.
Essen & Trinken: Seepocken und Stachelschnecken
Schon einmal Seepocken gegessen? Nein? Dann nichts wie hin ins Cantinho do Cais. Das einfache Fischlokal von Jorge liegt in São Brás an der Nordküste São Miguels. Hier schmecken die Cracas, wie man die Seepocken im Portugiesischen nennt, am besten. Die Cracas gehören zur Gruppe der Krebse. Doch mit herkömmlichen Krebsen haben sie äußerlich wenig gemein. Den Seepocken fehlen Beine und Arme zum Fortbewegen, sie kleben an Felsen, Walen und Schiffsrümpfen. In Meerwasser gekocht, kommen sie auf den Tisch und sehen dann ein bisschen aus wie zu Stein gewordener, gealterter Brokkoli. Mit einem Haken zieht man das weiche, schwarz-weiße Cracas-Fleisch aus kleinen Öffnungen heraus. Im Anschluss wird das Atlantikwasser mit einem Strohhalm aus den Mini-Höhlen gesaugt. Für mich sind Cracas stets ein kulinarischer Höhepunkt, für andere hingegen (zu denen leider auch meine Lebensgefährtin zählt) in etwa so lecker wie Hund hinten.
In eine ähnlich schräg-leckere Richtung gehen Canilhas, die im Deutschen Stachelschnecken oder Herkuleskeulen genannt werden – wer sie einmal gesehen hat, weiß auch, warum. Freunden von eher konventionelleren Meeresfrüchten empfehle ich Lapas. Das orangefarbene Fleisch der so genannten »Gemeinen Napfschnecke« erinnert optisch und geschmacklich an Muscheln. Man isst sie, reichlich mit Knoblauchbutter übergossen, vom Grill oder auch als Reisgericht (Arroz de lapas). Muito bom!
Cantinho da Cais, Rua Ramal, São Brás (São Miguel), Tel. 00351/296442631, www.restaurante-cantinhodocais.pai.pt.
Übernachten: Camping – der Natur am nächsten
Man hat auf den Azoren die Qual der Wahl: Es gibt feine Boutiquehotels, kleine, familiengeführte Gästehäuser, feudale Landsitze mit Hauskapelle und Butler oder bunte, witzige Hostels fürs kleine Geld. Die Inseln decken nahezu jeden Gusto und jedes Portemonnaie ab. Aber, ganz ehrlich: Auf den Azoren stehe ich aufs Zelten – wenn denn das Wetter passt. Auf jeder Insel gibt es mindestens einen Parque de Campismo. Viele liegen grandios: mit Wahnsinnsblick über den Ozean, umgeben von bimmelnden Kühen auf Wiesen und Weiden oder, wie in Furnas auf São Miguel, inmitten eines erloschenen Vulkankessels.
Was gibt es Schöneres, als am Abend dazusitzen mit einem Gläschen Inselwein, während sich das fangfrische Thunfischfilet auf dem Grill bräunt? Einzuschlafen mit Meeresrauschen und den Gesängen der Gelbschnabelsturmtaucher (»Aua-aua-aua-äääh-ääh«) als Wiegenlied? Und beim Morgenkaffee eine Walschule vorüberziehen zu sehen? Anspruchslose Romantiker kommen auf den Azoren voll auf ihre Kosten. Die Ausstattung der Plätze ist einfach, die warme Dusche nicht überall garantiert. Dafür übernachtet man nicht selten kostenlos oder für nur ein paar wenige Euros.
Die schönsten Städte: Angra do Heroísmo und Horta
Üppiggrüne Fabellandschaften, Berge, Täler, Azorenhoch. Das eine oder andere fällt fast jedem zu den neun Inseln im Atlantik ein. Aber städtebauliche Highlights? Doch, doch, die gibt es: auf der Zentralgruppe sogar zweimal.
Angra do Heroísmo, die »Hauptstadt« der Insel Terceiras, ist gar auf der UNESCO-Welterbeliste verzeichnet. Die prächtige Renaissancestadt prahlt mit Palästen, Klöstern und Kirchen aus jener Entdeckerzeit, als Angra eine bedeutende Station zwischen der Neuen und Alten Welt war.
Das Städtchen Horta auf der Insel Faial hingegen punktet mit seinem Yachthafen. Atlantiküberquerer machen hier fest, reparieren ihre Boote, nehmen Hand-gegen-Koje-Segler auf, füllen den Bordproviant nach. Und betrinken sich mal wieder richtig.
Letzteres tun sie mit Vorliebe im Peter Café Sport, einer bereits 1918 gegründeten Kultkneipe mit dem besten Gin im Umkreis mehrerer 1000 Meilen. Ein Abend mit den Seebären und ihren abenteuerlichen Geschichten macht nicht nur Spaß, sondern auch einen Schädel.
Peter Café Sport, Rua José Azevedo 9, Horta (Faial), Tel. 00351/296442631, www.petercafesport.com.
Museum: Centro de Interpretação do Vulcão auf Faial
Vor der Westküste Faials spuckte der Vulkan Capelinhos zwischen 1957 und 1958 mehr als 30 Millionen Tonnen an Asche und Lava aus. Ein Jahr lang hielt er die Insel in Atem. Den Westen Faials evakuierte man. Rund 250 Familien, deren Grund und Boden unter einer dicken Ascheschicht verschwunden war, mussten ihre Häuser verlassen. Zurück blieb eine vegetationslose, einer Mondlandschaft gleichende Staub- und Steinwüste, die von der Ruine des ehemaligen Leuchtturms an der Ponta dos Capelinhos beherrscht wird. Das dortige Museum samt Interpretationszentrum wurde, um die bizarre Szenerie nicht zu stören, unterirdisch direkt unter dem Leuchtturm errichtet. Es erinnert an den Ausbruch des Vulkans und informiert über die Entstehung der Azoren, über Unterseevulkane vor den Inseln und über bedeutende Vulkane weltweit. Zweifelsohne ist es eines der besten und architektonisch beeindruckendsten Museen des Archipels.
16. Sept. bis 14. Juni Di-Fr 9.30-16.30 Uhr, Sa/So 14-17.30 Uhr, Mo geschl., sonst tägl. 10-18 Uhr. Eintritt für die Dauerausstellung 6 €, für die Wechselausstellung 3 €, für den Film 3 €, für den Leuchtturm 1 €, Ticket für alles 10 €. parquesnaturais.azores.gov.pt.
Inselkunst: Die bunten Herzen des Yves Decoster
Wer São Miguel mit offenen Augen durchstreift, wird sie an Häuserwänden, Garagentoren, Gartenmauern und vielen anderen Orten entdecken: kunterbunte Herzen, oft in Blumen oder Blütenranken integriert, mit oder ohne Rahmen, mit küssenden Fischen oder Giraffen verziert oder in Katzenköpfe verwandelt. Die Gute-Laune-Herzen sind das Werk des belgischen Künstlers Yves Decoster, der bereits seit 1988 auf der Insel lebt.
2008 malte Yves sein erstes Herz auf das Haus eines Bekannten, drei Jahre später erfolgte der große Herzens-Durchbruch. Seitdem malt und malt Yves für seine immer größer werdende Fangemeinde Herzen auf der Insel – bei meinem letzten Besuch waren es bereits 295. »1000 Herzen sollen es werden«, sagt Yves, der mit den Herzen »Liebe zur Natur und zu den Menschen« transportieren will. Wie bunt Yves seine Insel schon gemacht hat, sieht man auf der Facebook-Seite »Pavillon Vila«.
Baden: Thermalpool im Terra-Nostra-Park
Okay, ich gebe es zu, die perfekten Bade-Inseln sind die Azoren nicht. Dennoch bietet jedes Eiland mehrere Möglichkeiten für einen Sprung ins Meer. Sandstrände findet man vornehmlich auf São Miguel, Santa Maria und Faial, andernorts hat man der rauen Lavaküste kleine, natürliche Becken abgetrotzt, die ihren ganz eigentümlichen Reiz besitzen.
Nirgendwo aber lässt es sich stimmungsvoller baden als im Terra-Nostra-Park auf São Miguel. Der Park liegt inmitten des Kurorts Furnas, der wiederum inmitten eines Vulkankraters. In der üppig grünen Anlage – die ersten Bäume ließ Orangenbaron Thomas Hickling Ende des 18. Jahrhunderts pflanzen – befindet sich ein charmanter, teichgroßer Pool mit 38 Grad warmem, rostbraunem Thermalwasser. By the way: Pool, Park und Villa hätten für die Verfilmung des »Großen Gatsby« herhalten können.
Einen ganzen Tag kann man hier gemütlich vertrödeln. Oder man quartiert sich gleich im angeschlossenen Hotel Terra Nostra Garden ein, einem Traditionshotel im Art déco-Stil. Dann nämlich kann man den Pool auch außerhalb der »gewöhnlichen« Öffnungszeiten benutzen und hat ihn mit Glück auch mal ganz für sich alleine.
Rua do Parque. April-Sept. tägl. 10-19 Uhr, Febr. u. März bis 17.30 Uhr, Okt.-Jan. bis 17 Uhr. 6 €, erm. 3 €. www.parqueterranostra.com.
Wandern: Pico-Besteigung und Insel Flores
Ein Berg, wie ihn Kinder malen. Auf einer Insel gleichen Namens. Wenn es das Wetter zulässt, sollte man sich die Besteigung des Pico nicht entgehen lassen. 2351 Meter misst der höchste Berg Portugals. Den Vulkan zu erklimmen, ist eines der schönsten Azorenerlebnisse, auch wenn der Weg mühselig ist, fünf bis acht Stunden sollte man für Auf- und Abstieg einplanen. Die Anstrengung wird mit dem wohl spektakulärsten Panoramablick belohnt, den man auf den Azoren bekommen kann.
Etwas weniger Kondition setzen die Touren auf Flores voraus. Flores, ganz im Westen des Archipels gelegen, ist eine der azoreanischen Wanderinseln schlechthin. Ihren Namen trägt die bunte, saftige Blumeninsel zu Recht. Das wildromantische, menschenleere Inselinnere, in dem nur Kühe grasen, prägen hohe Berge, die steil zum Meer hin abfallen, und rauschende Bäche, die in herrlichen Wasserfällen enden. Die Wanderwege sind wie überall auf den Azoren bestens markiert.
Das tierische Erlebnis: Whale-Watching
Rund 60 Euro für ein Erlebnis, das man in seinem Leben nicht mehr vergisst, sind eigentlich fast geschenkt. Eine Whale-Watching-Ausfahrt gehört zu den ganz großen Highlights eines Azorenurlaubs, sofern Moby Dick & Kumpanen auch auftauchen – im wahrsten Sinne des Wortes. Ich selbst hatte bisher großes Glück. Einmal war unser kleines Schlauchboot von sechs Pottwalen umringt, die neugierig ihre riesigen Augen auf uns richteten. Es war, als hätten die Wale den Spieß einfach umgedreht und zum vergnügten Tourist-Watching gerufen. Das letzte Mal bekam ich bei einer einzigen Ausfahrt sieben der 28 Delfin- und Walarten zu Gesicht, die rund um die Azoren bislang gesichtet wurden. Auch das war großes Walkino.
Erste Anlaufstelle für Walbeobachter ist das Städtchen Lajes do Pico auf der gleichnamigen Insel. Hier sitzt die 1991 vom französischen »Wal-Papst« Serge Viallelle gegründete Whale-Watching-Agentur Espaço Talassa. Deren Touren kann ich nur empfehlen: gutes Briefing, geschultes Personal und ein garantiert naturverträglicher Umgang mit den Riesensäugern.
Espaço Talassa, Caminho de Baixo 17, Lajes do Pico, www.espacotalassa.com.
In die Unterwelt: Furna do Enxofre auf Graciosa
Den Süden der kleinen Insel Graciosa nimmt die große Caldeira (= abgeflachter Vulkankrater) ein, in deren Mitte eine Attraktion liegt: die Furna do Enxofre, eine einzigartige Höhle, zu der man durch einen Vulkanschlot (184 Stufen) hinabsteigt. Der Besuch gleicht einer Reise in die Unterwelt, die Kulisse könnte jeden Fantasy-Regisseur neidisch machen. Die Gewölbehöhe beträgt rund 50 m, die Gesamtlänge der Höhle rund 200 m. Am besten kommt man zur Mittagszeit, wenn das Sonnenlicht durch den Vulkanschlot fällt.
Aber Achtung: Wer Pech hat, findet die Höhle verschlossen vor. In diesem Falle sind die Kohlendioxidwerte wieder einmal zu hoch. Das aufsteigende Gas kann gefährlich werden und hat schon Menschenleben gekostet.
16. Sept. bis 30. April Di-Sa 14-17.30 Uhr, 1. Mai bis 14. Juni Di-Fr 9.30-13 u. 14-17.30 Uhr, Sa 14-17.30 Uhr, 15. Juni bis 15. Sept. tägl. 10-18 Uhr. Eintritt 3,50 €.
Skurril: Corvo – der große Zwerg
Corvo ist eine Mini-Insel mit einem Mega-Vulkan, in dessen Kraterrund sich Wolken in Seen spiegeln. Am Fuße des Vulkans liegt das einzige Städtchen. 430 Einwohner zählt es, dazu zwei Wirtshäuser und zwei Bars. Vom Meer ist es durch den Flughafen getrennt, dessen Landebahn nur deswegen umzäunt wurde, damit die Hunde nicht mehr faul darauf umherliegen. Hoch über dem Ort gibt es eine Disco inmitten von Kuhweiden – immerhin nennen auch 1300 Rindviecher Corvo ihr Zuhause.
Die kleinste Azoreninsel ist eine eigene, kleine Welt mit raubeinig-herzlichen Einwohnern. Tagestouristen aus Flores gehen ihnen ziemlich am A… vorbei. Wer sich aber ein paar Tage auf der Insel einmietet, wird schnell die eine oder andere Bekanntschaft schließen. Vielleicht auch einen der beiden Polizisten kennen lernen, die nichts zu tun haben – die Arrestzelle in der Polizeistation wartet noch immer auf den ersten Gast. Ansonsten kann man wandern gehen und darauf hoffen, zu irgendeiner Party eingeladen zu werden – die Corvinos sind die wohl feierfreudigsten der ohnehin feierfreudigen Azoreaner.