Reportage

Politik und Kulinarisches -
ein Streifzug durch die Turiner Kaffeehäuser

Ein Artikel von Sabine Becht, der Autorin unserer Neuerscheinung »Piemont & Aostatal«. In ihrem Streifzug beschreibt sie die traditionellen Kaffeehäuser, in denen unter anderem auf die Einigung Italiens hingearbeitet wurde – und selbst Nietzsche schon Stammgast war.


Während sich die ganze Stadt mit der angemessenen Hektik auf die Olympischen Winterspiele 2006 vorbereitet, bleibt man in den zahlreichen Kaffeehäusern Turins gelassen bei der Tagesordnung. Die Residenzstadt der Savoyer hat sich nicht nur ihr barockes Aussehen mit kilometerlangen Arkadengängen und imposanten Palazzi erhalten, sondern auch einige wunderschöne Cafés, deren Tradition bis weit ins 18. Jh. zurückreicht. Einen guten »Marocchino«, das ist die Turiner Variante des Cappuccino, gibt es überall. Es sind aber vor allem die nostalgische Einrichtung und das einmalige Ambiente der Cafés, die besondere Beachtung verdienen.

Das älteste Caffè der Stadt ist gleichzeitig auch eines der schönsten: Das Al Bicerin aus dem Jahr 1763 liegt an der beschaulichen kleinen Piazza della Consolata im Quadrilatero Romano, dem alten Viertel Turins. Das kleine Caffè hat sich viel von seiner altertümlichen Atmosphäre bewahren können: riesige Bonbongläser vor dem uralten Holztresen, alte Spiegel, Holzvertäfelung und nur acht winzige Marmortische, auf denen der »Bicerin«, die Spezialität des Hauses aus Kaffee, Kakao und Sahne, serviert wird. Graf Cavour, der »Baumeister« der italienischen Einigung und Ministerpräsident des Königreichs Sardinien-Piemont unter Vittorio Emanuele II, war hier Stammgast; er liebte das süße Getränk. Unweit des Al Bicerin, in der Via San Tommaso 10, schrieb man eine ganz andere Kaffeegeschichte, nämlich die von »Lavazza«, einer der bekanntesten Röstereien des Landes, die hier unter Firmengründer Luigi Lavazza im Jahr 1895 ihre Pforten öffnete.

Doch die geballte Ladung an Kaffeehaustradition spielt sich im savoyischen Herz der Stadt rund um die Piazza Castello und um die Piazza San Carlo ab. Hier eröffnete 1822 das gleichnamige Café (Piazza San Carlo 156), seinerzeit hochmodern, da das erste seiner Art mit Gaslichtlampen. Savoyerkönig Carlo Alberto fand am Caffè San Carlo Gefallen, doch war es ausgerechnet hier, unter prunkvollem Muranoleuchter und zwischen rotem Samt, wo sich die liberalen Kräfte des Piemonts trafen und – im Zuge des Risorgimento – auf die Einigung Italiens hinarbeiteten. Eine Entwicklung, die dem König dann wohl doch nicht so gefallen hat …

Eine Erneuerung der kulinarischen Art findet sich dagegen an der Piazza Castello 15, im winzigen Caffè Mulassano, dem einstigen Künstlercafé der Schauspieler des nahe gelegenen Theaters, aber auch eines der bevorzugten Cafés der Savoyer. Anfang des 20. Jhs. wurde hier der erste »Tramezzino« serviert – das weiche dreieckige Sandwich, das aus dem italienischen Snackwesen heute nicht mehr wegzudenken ist.

Schräg gegenüber, gleich neben der historischen Einkaufszeile Galleria Subalpina, stößt man auf das Baratti & Milano (Piazza Castello 29), eines der schönsten Jugendstilcafès in Turin von 1873, im Jahr 2003 aufwendig und originalgetreu restauriert. Berühmt ist das Baratti & Milano auch für seine Schokolade und Pralinen, die »Gianduiotti« aus Kakao und geriebenen Haselnüssen. Überhaupt ist Turin bekannt für seine Pralinen, Schokolade und Kuchen, unzählige Cafés und »Confetterie« überbieten sich gegenseitig mit ihren hausgemachten Kalorienbomben, denen selbst der eisernste Kostverächter nur schwer widerstehen kann. Und: In Turin ist auch das »Gelato« zuhause, das berühmteste ist der »Pinguino« (Milcheis mit Schokoglasur) aus dem traditionsreichen Caffè Pepino an der Piazza Carignano 8, den man auf der gemütlichen Terrasse vor dem Café noch heute genießen kann.

Doch zurück zur Piazza Castello: Von hier zweigt die Via Po ab, die vielleicht schönste Straße der Stadt – leicht abfallend zum gleichnamigen Fluss hin, die imposante Kirche Gran Madre di Dio immer vor Augen. Das Caffè Fiorio auf der rechten Seite (Via Po 8) zählt heute – nicht zuletzt wegen seiner herrlichen Lage unter den Arkaden – zu den beliebtesten »Gelaterie« der Stadt. Früher hat man hier jedoch handfeste Politik gemacht: Das Fiorio war das »Caffè dei Codini« (Café der Pferdeschwänze), der Aristokraten und Offiziere, allesamt konservative Kräfte, die sich hier trafen, unter ihnen auch Graf Cavour. Selbst Friedrich Nietzsche soll während seiner Turiner Zeit von 1888-1889 jeden Nachmittag schreibend im Fiorio gesessen haben. Gewohnt hat der deutsche Philosoph übrigens gleich um die Ecke an der Piazza Carlo Alberto.

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