Ein Artikel von Dirk Thomsen, Redakteur unserer Neuerscheinung »Ostseeküste – Mecklenburg-Vorpommern« (1. Auflage 2007, Autoren Sabine Becht und Sven Talaron). Als studierter Kunsthistoriker hat er sich einem Wahrzeichen Schwerins genähert: dem Schloss, das auf einer Insel in einen See hineinragt und heute unter anderem der Sitz des Landtags ist. Eine Entwicklung übrigens, die der Architekt Georg Adolf Demmler, der sich im muffigen, antidemokratischen Deutschland des 19. Jahrhunderts behaupten musste, sicher für gut befunden hätte.
»Es ist ein besonders schöner Anlass, auf diese Weise ein Stück Heimat in den Händen halten zu können.« So begrüßte die Bundeskanzlerin Angela Merkel die Herausgabe der 2-Euro-Gedenkmünze »Mecklenburg-Vorpommern« im Februar dieses Jahres. Sechzehn solcher Münzen sollen erscheinen, für jedes Bundesland eine. Als Motiv wird stets ein herausragendes Symbol des jeweiligen Landes (von der Landesregierung) gesucht. Schleswig-Holstein wählte sich das Lübecker Holstentor, Mecklenburg-Vorpommern entschied sich nicht etwa für die Kreidefelsen auf Rügen, sondern für das Schweriner Schloss, dem Zentrum der Landeshauptstadt.
Beim Anblick des Schlosses stutzt der Kunsthistoriker: Hat er das nicht irgendwo anders schon einmal gesehen? Na klar, in Frankreich an der Loire. Das Schloss ist ganz im Stil der Renaissanceschlösser wie Chambord gehalten. Stammt aber nicht etwa aus dieser Zeit, sondern ist ein Neubau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Geplant hat es der Architekt Georg Adolf Demmler (1804-1886) und die Homepage des mecklenburg-vorpommerischen Landtags bezeichnet es auch gleich als »sein bedeutendstes Werk«. Doch auch andere Architekten haben am Schloss gearbeitet – und Demmler selber hatte den Bau gar nicht zu Ende führen können. Dem politisch anrüchigen Freigeist wurde nämlich nach ein paar Jahren schon der Rücktritt nahe gelegt. Die großherzogliche Regierung hielt ihn für so verschlagen, dass er revolutionäre, sprich demokratische, Dokumente in der Spitze des südlichen Eckturms hatte einmauern lassen. Mit erheblichen Kostenaufwand wurde ein Gerüst aufgebaut – und wirklich: Der Architekt hatte Zeitdokumente zur Revolution von 1848/49 und eine Beschreibung seiner Entlassung im Turm hinterlegt. Er wollte klarstellen, dass »nicht unehrenhafte Gründe … Unredlichkeiten oder auch Ungeschicklichkeiten und technische Unfähigkeit« ihm sein Amt als Hofbaumeister gekostet hatten, sondern seine politische Überzeugung, für die er bereit war, »das härteste Opfer zu bringen«. Der Skandal war da.
Schinkelschüler und Herzogsfreund – Eine Karriere bei Hofe
Dabei hatte alles so viel versprechend begonnen. Schon früh wurde das Talent des 1804 geborenen Demmlers von seinem Vater gefördert, so dass der 16-Jährige an der von Karl Friedrich Schinkel geleiteten Bauakademie in Berlin studieren konnte. 1823 wechselte dann der frisch gebackene Landesbaukondukteur (heute dem Beruf eines Bauingenieurs gleichzusetzen) in den mecklenburgischen Staatsdienst. Schon bald gewann der junge Künstler durch seinen Fleiß, sein Organisationstalent und seinen großen technischen Sachverstand das Wohlwollen seiner Vorgesetzen und des Hofes. Er stieg rasant die Karriereleiter empor und gewann das Vertrauen des Thronfolgers. Als dieser als Großherzog Paul Friedrich die Amtsgeschäfte übernahm, wurde Demmler zum Hofbaumeister ernannt. Damit war er für alle Bauten im Großherzogtum verantwortlich und so beruhen sämtliche öffentlichen Gebäude Schwerins aus dieser Zeit auf seinen Plänen, so zum Beispiel das Kollegienhaus, die heutige Staatskanzlei, der Marstall, der nun unter anderem als Museum genutzt wird, und das Theater, das 1882 durch ein Feuer zerstört und nicht wieder errichtet wurde.
Auch in anderen Städten Mecklenburgs wurden Pläne des Hofbaumeisters ausgeführt, wie etwa das heutige Ernst-Barlach-Theater in Güstrow. Als Architekt baute Demmler ganz in der damals geläufigen Art des Historismus. Er bediente sich also an überkommenen Baustilen, die ihn passend für die geplanten Gebäude erschienen, das Kollegienhaus entwarf er so im klassizistischen Stil, das Arsenal, das das großherzogliche Waffenlager beherbergte, gestaltete er ganz heimatverbunden als Gebäude der Backsteingotik, der Fassade des Gebäudes der Freimaurerloge am Schlachtermarkt 17 gab er einen kleinen Hauch von Orient.
Ein unheilvoller Sieg
Als der Großherzog geruhte, sich ein neues Schloss zu bauen, wandte er sich an seinen Hofbaumeister. Erst sollte das Schloss, im klassizistischen Stil entworfen, am Alten Garten (heute neben dem Museum) gebaut werden. Doch Paul Friedrich segnete 1842 das Zeitliche, sein Nachfolger Friedrich Franz II. wollte lieber das alte Schloss auf der Schlossinsel umgebaut wissen. Der umtriebige Demmler legte ihm auch gleich einen Entwurf vor, diesmal hielt er sich an den mittelalterlichen Look von Windsor Castle. Doch Konkurrenz belebt das Geschäft, mag sich der frischgebackene Großherzog gedacht haben und beauftragte auch auswärtige Architekten mit Entwürfen, darunter Koryphäen wie den preußischen Hofbaumeister Friedrich August Stüler oder Johann Gottfried Semper, der gerade die später nach ihm benannte Oper in Dresden fertig gebaut hatte.
Demmler erhob erst einmal Einspruch und begab sich auf eine Studienreise nach Frankreich. Zurückgekehrt legte er nun einen Plan vor, der dem designierten Bauwerk die Gestalt eines französischen Loireschlosses gab. Nach reichlichem Finassieren und Intrigieren gab der Großherzog nach und beauftragte seinen Hofbaumeister mit dem Bau des Schlosses. Doch zufrieden war der siegreiche Demmler nicht, er hatte kein gutes Gefühl bei dem Auftrag. Zwar sah er, »… daß die Sachen im allgemeinen für mich, trotz der vielen Intriguen gut entschieden sind, ob ich aber dennoch zu gratulieren bin, steht dahin, denn ich fürchte doch, daß mir der Schloßbau zu vielen Ärger und Unanehmlichkeiten bringt. Ich glaube, demselben nicht zu vollenden, denn ehe ich mich totärgern soll, will ich lieber meinen Feinden das Feld räumen.«
Das soziale Engagement eines Hofbaumeisters
Feinde hatte Demmler schon einige im Laufe seiner Karriere angesammelt. Dies war weniger seinem beruflichen Aufstieg geschuldet als vielmehr seines politischen Engagements. Schon während einer Ausbildungszeit in Berlin war er einer demokratisch gesinnten Burschenschaft beigetreten, seine liberalen Vorstellungen führten ihn in Schwerin zur Freimaurerloge »Harpocrates zur Morgenröte«. Er engagierte sich in den liberal-demokratischen Zirkeln Schwerins und forderte eine Verfassung für das Großherzogtum, die allerdings bis zum Ende des Kaiserreiches 1918 auf sich warten ließ. Trotz seines Hofamtes sympathisierte er mit der Revolution von 1848/49, dank seines guten persönlichen Verhältnisses zu den Großherzögen Paul Friedrich und Friedrich Franz konnte er sich dennoch in seinem Hofamt halten. Freunde unter den großherzoglichen Beamten machte er sich mit seiner offen vertretenen politischen Haltung aber keine.
Ungewöhnlich, selbst für einen Liberalen des frühen 19. Jahrhunderts, war Demmlers soziales Engagement für die Arbeiter auf den Baustellen. Schon bei seinen ersten Aufträgen hatte er gegen den Willen der Handwerksmeister für eine gerechte Entlohnung der Arbeiter gesorgt. Auf der Schlossbaustelle führte er sogar eine Art Gewinnbeteiligung für die Arbeiter ein und bestand auf eine Unfallversicherung. Stets unterstütze er die Lohnforderungen der Bauarbeiter, zum Richtfest des Schlosses 1847 organisierte er ein Fest für sie. »Ein dreifach Lebehoch erschalle dem Architekten« dichteten die Arbeiter angesichts solch damals ungewohnter Unterstützung.
In höfischen Kreisen wurden die politischen und sozialen Aktivitäten des Hofbaumeisters äußerst ungern gesehen. Man versuchte mit »Nadelstichen, Grobheiten, Kränkungen« – so Demmler – ihn »zur Einreichung eines Abschiedsgesuchs zu nötigen«. Als der Großherzog beschloss, die paar Freiheiten, die er den Mecklenburgern in der Revolution hatte zugestehen müssen, wieder rückgängig zu machen und sein Hofbaumeister im Bürgerausschuss von Schwerin, der städtischen Kommunalversammlung, 1851 laut dagegen Protest einlegte, war das Maß übervoll. Man legte Demmler nahe, dass er »sich fortan von politischem Treiben fern zu halten und sich zu freuen habe, daß der Betrieb der Politik zu seinem Berufe nicht gehöre.« Auch habe er dem Bürgerausschuss von nun an fernzubleiben. Entgegen aller Warnungen ging Demmler zur Sitzung des Ausschusses, den Mund verbieten ließ er sich nicht. Prompt folgte seine Entlassung aus dem Amt des Hofbaumeisters, folgerichtig entzog man ihm die Bauleitung am Schloss.
Die übernahm nun Friedrich August Stüler (1800-1865), der bedeutendste Schüler des großen preußischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. Um dem Schloss seinen Stempel aufzudrücken, veränderte er den Entwurf Demmlers auf der stadtseitigen Fassade entscheidend. Er setzte dem zentralen Turm eine goldene Prunkkuppel auf und platzierte ein Reiterdenkmal vor dem Schloss.
Die »Schloßthurmknopfdurchsuchungsgeschichte« und die Überzeugungen eines demokratischen Architekten
Was noch folgte, war die »Schloßthurmknopfdurchsuchungsgeschichte«. Die von Demmler eingemauerten Schriften waren jedoch nicht revolutionär genug, um ihn vor Gericht zu stellen, »der Staatsanwalt oder Criminalfiskal erhielt keine Beschäftigung«, wie er zufrieden schrieb. Er verließ Mecklenburg und reiste durch Europa; dank einer Erbschaft war er finanziell unabhängig. Nach ein paar Jahren kehrte er nach Schwerin zurück, beteiligte sich auch an Wettbewerben für die Stadtplanung der Landeshauptstadt. Seine Entwürfe wurden stets von den großherzoglichen Beamten abgelehnt, auch wenn sich spätere Baukommissionen durchaus an seine Empfehlungen hielten. Selbstverständlich engagierte sich Demmler weiterhin in der Politik. Nach 1860 näherte er sich mehr und mehr den Sozialdemokraten an, saß für sie 1877 sogar im Reichstag, auch wenn er der Partei nie beitrat. 1886 zog er sich aus dem politischen Leben zurück.
Seine Überzeugungen gab er dennoch nicht auf: In seinem Testament verfügte er eine wohltätige Stiftung für Arbeiter, die seine wenig solidarischen Erben allerdings zu verhindern wussten. Doch er sorgte dafür, dass seine Ideale auch nach seinem Tod in Erinnerung blieben: das von ihm selbst entworfene Mausoleum auf dem Alten Friedhof in Schwerin zieren die Symbole der Freimauer und bezeugt Demmlers Eintreten für Menschlichkeit und Gerechtigkeit.
Natürlich wählte man das Schweriner Schloss als Motiv für die 2-Euro-Gedenkmünze nicht, weil Georg Adolf Demmler es gebaut hatte. Doch es gibt mit Sicherheit schlechtere Symbole für ein deutsches Bundesland als ein großherzogliches Schloss, das von einem überzeugten Demokraten entworfen wurde.