Der folgende Artikel zur Neuauflage des Reisehandbuches »Oberitalienische Seen« (2. Auflage 2005) basiert auf Recherchen und Texten unseres Lesers Ulrich Magin – der auf kuriose Entdeckungen im Gardasee, im Comer See und im Lago Maggiore gestoßen ist, die übrigens zwischenzeitlich in einem Internetforum diskutiert werden.
Badespaß an den oberitalienischen Seen – tiefblaues Wasser mit blitzenden Sonnenreflexen, das silbrige Grün der Olivenhaine, die majestätischen Berghänge, Palmen im Wind, die knallig bunten Segel der Surfer, eine Fähre, die sich tutend ihren Weg bahnt, irgendwo die Zinnen einer stolzen Skaligerburg … Doch die Idylle ist trügerisch. Kaum einer der zahlreichen Urlauber, die fröhlich im Wasser plantschen oder sportlich darüber hinweg surfen, ahnt etwas von den düsteren Geheimnissen, die – vielleicht – in den unergründlichen Tiefen verborgen sind. Unser Leser Ulrich Magin hat sich die Mühe gemacht und ist den Spuren der »Monster der oberitalienischen Seen« gefolgt …
Im 16. Jh., so berichtet Bongiani Grattarolo 1599 in seiner »Geschichte von Salò«, versuchten Klosterbrüder auf der Isola di Garda herauszufinden, wie tief das Wasser sei – dem Hörensagen nach solle es unermesslich tief sein. Sie ließen ein Senklot herab, dem ein mutiger Taucher folgte. Doch dieser starb fast vor Furcht, als er in einer düsteren Höhle unter der Insel fischähnliche, aber maßlos große Wesen entdeckte … Seeungeheuer im Gardasee? Anscheinend wussten die antiken und mittelalterlichen Autoren, die den Gardasee beschrieben – Plinius, Catull oder Dante – noch nichts davon. Die Sagen des Sees romantisierten lieber Nixen und Nymphen, wie die Engardina bei Garda oder die Seejungfrau Melsinoe, von der der Ort Malcésine seinen Namen ableiten soll. Doch um 1673 erschlug ein Schäfer im kleinen Lago di Nambino über der Quelle des Sarca-Flusses, der im Gardasee mündet, »einen bizarren Fisch, der den Kopf einer Katze, eine Rückenmähne und einen spitzen Schwanz hatte«. Noch im 19. Jh. sei das Urtier in der Kirche Santa Maria di Campiglio in einer Glaskugel aufbewahrt worden, die von der Kirchendecke hing. Und in der Kirche Santa Maria Vergine delle Grazie in Curtatone wird bis heute ein mumifiziertes Krokodil gezeigt, das um das Jahr 1500 im Schilf des Mincio bei Mantua gefangen worden sein soll – vielleicht der Urvorfahre jenes Krokodilmonsters, das im Jahr 1965 bei Garda für Aufregung sorgte? Verschiedene Augenzeugen sahen damals innerhalb eines Tages ein »etwa zehn Meter langes Tier mit einem riesigen Kopf« bei Punta San Vigilio. Die Netze der Fischer seien zerrissen worden und man habe Fische gefangen, »die Wunden von den Bissen eines Raubtieres trugen«. Weitere Beobachtungen folgten: 1988 will ein Taucher aus Brescia im Golf von Salò in fünf Meter Tiefe »zwei Schatten« von rund 1,30 Metern Länge in den Algen erblickt haben, und 1990 soll ein vermeintlicher Monsterwels, der 100 Kilo wog und zwei Meter lang war, zwei Studenten bei Lazise angegriffen haben.
Ähnliche Berichte gibt es vom Comer See. 1946, die Italiener waren gerade ein Jahr zuvor am Westufer ein anderes Ungeheuer namens Mussolini losgeworden (siehe Reiseführer »Oberitalienische Seen, S. 203), tauchte vor Cólico ein weit harmloseres auf und füllte im November die Schlagzeilen der Lokalzeitungen. »Zwei bis drei Meter lang«, sei es gewesen, »mit starren Augen und einer Krause oder einem Kamm, von rosiger Farbe und mit einem Mund voller Zähne.« Das sei doch kalter Kaffee, konterte wenige Tage später ein Konkurrenzblatt, das Monster »Lariosaurus« sei schon 1940 beobachtet worden. Damals seien Ausflügler bei Varenna in einen Sturm geraten und hätten in einem Wellental eine gewaltige, 10 m lange Schlange mit grüner Haut und schwarzen Streifen gesehen. Am 21. November 1946 schreibt der »Corriere Lombardo« über drei Angler, die das Ungeheuer nahe ihres Bootes bei Varenna gesichtet hätten und am 31. August 1954 sahen ihn Signore Palmiro Bianchi und sein Sohn Sergio erneut: »Es war real, das kann ich bezeugen. … Es war drei oder vier Meter entfernt … Es war 80 oder 90 Zentimeter lang … Das Hinterteil glich mehr oder weniger einem Schwein. Ich habe sogar Tatzen gesehen. Die Tatzen waren wie die einer Ente.« Auch am Comer See brachen die Augenzeugenberichte nicht ab: So sollen im August 1957 zahllose Menschen am Ufer zwischen Musso und Dongo ein sechs Meter langes Tier gesichtet haben. Bei Sonnenuntergang sei »zwischen den Wellen ein ungeheurer Kopf« aufgetaucht, »von dreieckiger Form und mit leuchtenden Augen«. Sein Körper war von »zylindrischer Form, er hatte Flossen und einen Schwanz, der breit war wie der eines Wals. Sein Maul stand stets offen, mit vielen scharfen weißen Zähnen darin.« Man rief nach Fischern, die das Monster fangen sollten, doch die einbrechende Dunkelheit verhinderte dies. Die jüngsten Sichtungen sind dagegen eher unspektakulär: Um 1998 soll ein Hobbytaucher vor Menaggio »eine Begegnung mit einem großen Schatten von einem riesigen Fisch« gehabt haben, Anfang August 2002 sahen zwei Angler im Intelvi-Tal einen kleinen Alligator mit kurzem, trapezförmigen Kopf und zahnbewehrtem Maul und im März 2004 sichtete der Paddler Ferdinando Viti zwischen Carate Urio und Moltrasio eine riesige Luftblase im See, »die einen Durchmesser von mehr als einem halben Meter hatte.«
Auch im Lago Maggiore werden Monster mit schöner Regelmäßigkeit gesichtet. Anfang des 20. Jh. soll ein Fischer einen Riesenfisch bemerkt haben, der bei Meina sein Boot rammte, so dass es fast kenterte. Schlagzeilen in aller Welt machte dann ein Bericht vom Januar 1934 über eine Seeschlange mit Pferdekopf, die am schweizerischen Nordende des Sees aufgetaucht sei. Am 11. Juli 1962 entdeckte der Ingenieur Leonello Boni eine Schaumspur im Wasser, die sich parallel zum Ufer fortbewegte. Darunter schwamm »eine große und dunkle Masse«, die einem Wal glich. Kurioserweise hielt Boni die Merkwürdigkeit jedoch nicht für ein Seeungeheuer, sondern für ein »Unterwasser-UFO« … Im Zeitalter des Internet folgte dann eine wahre Sichtungswelle! In deutschen und italienischen Diskussionsforen über unidentifizierte Tiere werden mit schöner Regelmäßigkeit Berichte über Monsterbegegnungen im Lago Maggiore veröffentlicht. Eine Frau gab 2002 folgendes Erlebnis preis: »Wir sahen etwas wie den Rücken eines Fisches kurz aus dem Wasser tauchen. Aber er war riesig! Das Tier befand sich von uns aus gesehen mitten im See, und der See ist groß, aber es machte riesige Wellen, selbst als es nicht mehr zu sehen war. Also ich hab mal einen Wal im Mittelmeer vor Korsika auf einem Segelboot gesichtet und dieses Tier war bestimmt nicht kleiner. Ich schätze vier bis fünf Meter bestimmt.« Der jüngste Bericht stammt vom 22. August 2004. Der italienische Zeuge machte einen Bootsausflug bei Luino und bemerkte etwa 100 Meter entfernt einen dunklen Streifen, bei dem es sich um eine Welle handeln könnte. Es war aber seltsam, dass sie sich in der gegensätzlichen Richtung zu den anderen Wellen bewegte, sie schien gleichsam an einem Platz zu bleiben. Als das Schiff nach 20 bis 30 Sekunden die Stelle passierte, war sie nicht mehr da. Aber an ihrer Stelle sah man eine Reihe von konzentrischen Ringen mit kleinen Luftbläschen im Zentrum – ein typischer Strudel, der erzeugt wird, wenn etwas untertaucht …
Und was sagen die »Monsterexperten«? Maurizio Mosca, der ein Buch über Sichtungen von Seeschlangen in italienischen Seen geschrieben hat, vermutet, das (oder die?) Ungeheuer müsse ein riesiger Fisch gewesen sein, ein Monsterstör etwa oder ein Riesenwels. Da die Augenzeugenberichte von allen drei großen Seen stammen, führt man gerne an, dass – so eine alte Sage – die lombardischen Gewässer untereinander durch Tunnel verbunden seien.
Zwei Bücher und ein Comic gibt es mittlerweile zum Thema – Giovanni Gallis Roman »Il Lariosauro« (2000), der die Ereignisse von 1946 im Comer See Revue passieren lässt, Gregor von Laufens »Lariosauro. C’è un mostro nel lago?« (2003), ein geschickt gemachter Schwindel mit erfundenen Augenzeugenberichten, und »Peperino e il terrore di Golasecca« (»Onkel Donald und der Schrecken von Golasecca«), eine Monsterstory zum Lago Maggiore in der italienischen Ausgabe der Micky Maus. Außerdem hat man dem Untier einen Song gewidmet (»El mustru« von Davide Van den Sfroos) und es besetzt eine Hauptrolle in »L’inglesina in soffitta« von Luca Masali (2004), einem Roman, der zur Zeit des Faschismus spielt – das Monster stellt sich darin als geheimes Boot heraus. Die neue Popularität hat dafür gesorgt, dass im Internet mittlerweile sogar »Fotos« des Monsters veröffentlicht wurden: Die sehr schön gemachten Bilder zeigen ein Nessie-ähnliches Wesen mit Höcker und langem Hals. Und auch ein Denkmal für das sagenhafte Wesen gibt es bereits: Bei einem Kinderspielplatz an der Seepromenade von Baveno ringelt sich die riesige, 20 Meter lange Marmorstatue einer Seeschlange.