Reportage

Der Ruf, das Sparschwein zu schlachten, wird lauter.
Über Norwegens Ölmilliarden.

Hans-Peter Koch, Autor unserer beliebten Nordland-Guides »Norwegen« (4. Auflage 2005) und »Südnorwegen« (2. Auflage 2003) hat das drittreichste Land der Welt unter sozialwirtschaftlichem Aspekt betrachtet – und dabei festgestellt, dass der Reichtum des Wohlfahrtsstaates auch seine Bürde mit sich bringt. Während die Regierung die Ölgewinne für künftigen Generationen spart, fordern nicht nur Rechtsextreme eine bessere Verteilung der Gelder.


Norwegens Parlament, der Storting, entschied 1990, den Ölreichtum für zukünftige Generationen aufzusparen. So fließen 94 % aus den Öl- und Gaseinnahmen jährlich in einen Fonds, in dem sich schon jetzt 150 Mrd. Euro angesammelt haben; nur sechs Prozent der Einnahmen darf der Finanzminister für seinen Haushalt verwenden. Und dass, obgleich die Renditeziele des Fonds Jahr für Jahr übertroffen werden, da die Einnahmen durch Öl und Gas angesichts des stetig wachsenden Weltmarktpreises derzeit um tägliche 500 Mio. Kronen (rd. 62 Mio. Euro) ansteigen. 60% der gehorteten Gelder werden in ausländischen Obligationen und Aktien angelegt, um eine Überhitzung der Binnenwirtschaft zu vermeiden. Damit sichert Norwegen seine Zukunft besser als alle anderen Ölproduzenten der Welt, doch schürt gleichzeitig Unmut im eigenen Land.
Der Ruf, das Sparschwein zu schlachten, wird lauter. Vor allem die rechtsextreme »Fortschrittspartei« profitiert von der Unzufriedenheit. Warum, so fragen viele, muss jeder Norweger 48 % seines Einkommens an den Staat abführen und im Supermarkt 25 % Mehrwertsteuer zahlen? Dann doch lieber die Öl-Milliarden ausgeben und Steuern senken.

Denn auch das ist Realität in Norwegen: Es fehlen Kliniken, Ärzte und Kindergärten und die Rentenkasse leidet – wie anderswo auch – an chronischer Unterfinanzierung. Da gäbe es, meinen immerhin 30 % der befragten Norweger, genügend Anlage-Möglichkeiten für die Ölgewinne. Der norwegische Wohlfahrtsstaat – ärztliche Versorgung und Alterssicherung sind für Norweger nahezu gratis – will bezahlt werden. Warum dann nicht mit den sprudelnden Öl-Ressourcen aus der Nordsee?

Dennoch bleibt das bürgerliche Regierungsbündnis von Ministerpräsident Bondevik bei seinem Sparkurs. Denn den Älteren unter den Nordmänner ist die Zeit vor dem Öl-Boom, als Norwegen ein armes Land war, noch zu gut in Erinnerung: »Nie wieder sollen Norweger hungern müssen«, ist das Credo der Regierung.
Derzeit werden täglich 3,2 Mio. Barrel Rohöl aus der Nordsee gefördert – ein gutes Drittel mehr als in Kuwait. Noch hat Norwegen Öl für 50 und Gas für 100 Jahre. Danach aber muss das Land ohne das schwarze Gold möglichst genauso gut funktionieren …

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