Was die Nürnberger können, gelingt den Münchnern nicht immer. 15 Jahre nachdem der Stadtrat der fränkischen Metropole beschlossen hat, ein Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zu eröffnen, ziehen die Bayern nach. Unser München-Autor Achim Wigand erzählt wortgewandt von den Ergebnissen eines Architekturwettbewerbs und hat sich 115 Entwürfe und eine seltsame Pressekonferenz angesehen. Sein Reiseführer zur Stadt, »München MM-City«, liegt in 1. Auflage 2009 vor.
Nur wirklich sehr reife Bürger der Landeshauptstadt München können sich aus eigener Anschauung noch an einen Hochbau auf dem Grundstück an der Brienner Str. 45 erinnern und sofern sie politisch noch alle Tassen im Schrank haben, erinnern sie sich mit historischem Schauder: Unter dieser Anschrift residierte von 1930 bis 1944 die Geschäftsstelle Hitlers allmächtiger Staatspartei NSDAP. In der Spätphase des Zweiten Weltkriegs schwer zerstört und die letzten Trümmer 1947 durch amerikanische Pioniere restlos weggesprengt, gelten Grund und Boden seither als ideologisch verseucht, die Freifläche in teurer Lage ist folgerichtig bis heute eine innerstädtische Brache.
Jahre, ja jahrzehntelang waren die Münchner – wie wohl auch der Rest der aufarbeitungsmüden Republik – mit diesem Nicht-Zustand ganz zufrieden, bis in den frühen 90ern aufklärerische Geister (vgl. Nestbeschmutzer, die) ziemlich offen feststellten, dass das ja wohl nicht so bleiben könne: München, als 1000-jährige »Hauptstadt der Bewegung« mit einem besonderen Kainsmal gezeichnet, müsse sich endlich offensiver seiner unbequemen jüngeren Vergangenheit stellen, eine Gedenkstätte oder ein Studienzentrum oder irgendetwas Handfestes müsse her, damit Aufarbeitung und Erinnerung einen festen Platz in der Stadt bekämen und dafür wäre doch das Grundstück des Braunen Hauses mitten im ehemaligen Parteiviertel geradezu prädestiniert. Bis sich diese unzweifelhaft vernünftige und richtige Einschätzung durchsetzen konnte, brauchte es erstaunlich lange, aber nun – gerade einmal 65 Jahre nach dem finalen Kollaps der NS-Herrschaft ist es unumkehrbar soweit: München bekommt ein NS-Dokumentationszentrum.
Nüchternheit als Vorteil
Am 7. März 2009 wurden auf einer Pressekonferenz die siegreichen und prämierten Entwürfe des Realisierungswettbewerbs für einen entsprechenden Neubau vorgestellt. Der Bedeutung angemessen war die Besetzung des Podiums: Für die Stadt München waren OB Ude, seine Baureferentin Hingerl und der Kulturreferent Dr. Küppers anwesend, die Staatsregierung schickte Finanzminister Georg Fahrenschon. Prof. Kulka, dem Vorsitzenden der Wettbewerbsjury, war das wohl zu poplig, er war für eine persönliche Erläuterung der Entscheidung des Preisgerichts nicht erschienen.
Immerhin ließ der Oberbürgermeister schon in seinen ersten Worten keinen Zweifel an der Dimension des Projekts: Beim NS-Dokumentationszentrum handele es sich »um den bedeutendsten Kulturneubau dieser Amtsperiode«. Unbedingt zustimmungsfähig, dieser Satz – aber auch ein Diktum, an dem sich der OB wird messen lassen müssen, wenn er (wie er es vorhat) 2014 aus dem Amt scheidet; dann nämlich soll alles fertig sein. Geplanter Baubeginn ist 2011, die Fertigstellung terminiert für 2013.
Bei der Vorstellung der prämierten Entwürfe wurde der OB dann verdächtig vorsichtig: »Ich bitte die Öffentlichkeit darum, diesen Entwurf nicht gleich abzulehnen, sondern sich mit ihm intensiv auseinanderzusetzen.« Eigentlich ja eine Selbstverständlichkeit, andererseits klang das fast ein wenig kleinlaut – ist der robuste, mit Dissonanzen aller Art ja vertraute Stadtchef mit dem (angeblich einstimmigen) Urteil der Jury am Ende gar nicht so glücklich? Und hat er dazu vielleicht sogar Grund?
Sehen wir uns den siegreichen Vorschlag also einmal näher an: Das Architekturbüro Georg Scheel Wetzel aus Berlin, ein Newcomer im Geschäft mit Ausstellungsbauten, würfelt einen gleichseitigen Kubus ins Rechteckmuster der Straßen der historischen Maxvorstadt. Die Kantenlänge beträgt 22,10 m, damit wird das Dokumentationszentrum die angrenzende Hochschule für Musik – als ehemaliger »Führerbau« ein Relikt der NS-Zeit – um einige Meter überragen. Die Bauausführung erfolgt in Weißbeton (in der Masse mit Kalkpartikeln eingefärbter Beton), fünf Stockwerke liegen über der Erde, zwei weitere befinden sich unterhalb des Null-Niveaus. Insgesamt ein ansprechender Entwurf, aber doch ganz schön unaufregend. Macht ja nichts, Nüchternheit im Umgang mit der nahezu grenzenlos aufgeladenen historischen Materie ist gewiss kein struktureller Nachteil. Zu bemäkeln habe ich allenfalls die mangelhafte Einbeziehung des unmittelbar davor liegenden Sockels einer der beiden Ehrentempel (Aufbauten 1947 von den Amerikanern gesprengt), der wohl weiterhin unter einem gnädigen Mantel aus Grünzeug versteckt bleiben wird.
Preisgerichtsdeutsch und 115 Entwürfe später
Lustig bis ärgerlich ist allerdings der Prosaschwulst der Preisgerichtsbeurteilung und der mündlichen Ausführungen der Baureferentin: Rosemarie Hingerl freut sich z. B. besonders darüber, dass mit dem Baustoff Weißbeton eine haptischer Oberfläche entstünde – gibt es denn auch (mal abgesehen von Betriebssystemen) nicht-haptische Oberflächen. Oder anders: Ist Haptizität nicht eben ein Wesensmerkmal von Oberflächen? Interessant auch zu wissen, dass »Sichtbeziehungen zu Umgebungsbauten [gemeint sind die beiden sog. Führerbauten und der Königsplatz] durch großzügige Verglasung« hergestellt werden. Wir nannten das früher »Fenster«. Rätselhaft ist »der typologische Ansatz eines Würfels im Baumbestand«, nicht so sehr wegen des anfechtbaren Vokabulars als vielmehr wegen des fehlenden Baumbestands am Baugrund. Bis jedenfalls Bäume die im Modell vorgesehene Höhe erreicht haben werden, dürften noch einige Dezennien vergehen.
Noch kritischer wird es bei den Bewertungen der inhaltlichen Qualitäten des Siegerentwurfs: Die Jury freut sich explizit, dass in Kubatur (für Fachfremde: das Volumen des Bauwerks) und Materialität eben nicht auf das »Braune Haus« Bezug genommen würde. Eine abseitige Vorstellung, steht doch das geplante Dokumentationszentrum an genau dessen Stelle und der Nutzungszweck – freilich in dialektischer Wendung – in direkter Beziehung zum Vorgängerbau. Richtig absurd ist das Lob der »selbstbewussten« Bauhöhe: als ob durch das Übertrumpfen der fraglos monumentalen »Führerbauten« ein später Triumph über das NS-System zu erzielen wäre. Größe als Argument für Relevanz – das ist doch eher Potentatenspielzeug. Wer hat hier den längsten?
Was wäre sonst noch möglich gewesen? Immerhin wurden insgesamt 115 Entwürfe eingereicht, 50 davon kamen in die zweite Runde; zusätzlich wurden noch zehn international renommierte Architekturbüros eingeladen. Die allermeisten legten ihren Konzepten – wie der Wettbewerbssieger – die Würfel- oder Quaderform zugrunde; als häufigster Baustoff wurde mit Glas oder vergleichbaren transparenten oder transluzenten Materialien geplant. Einige Entwürfe stachen dabei durch besondere Unzweckmäßigkeit oder unangemessenen Umgang mit der historisch sensiblen Materie hervor, z. B. das hübsch begrünte Teehaus im Blätterteiglook eines japanischen Bewerbers oder – in seiner Zeichenhaftigkeit durchaus interessant – zwei Milchglasblöcke auf den Sockeln der ehemaligen Ehrentempel. Einen persönlichen Favoriten habe ich dennoch gefunden: Der Vorschlag des Berliner Büros Busmann + Haberer, die Baumasse des ehemaligen »Braunen Hauses« durch gezieltes Weglassen besonders augenfällig zu machen, überzeugt vor allem durch die elegante bausemantische Volte. Hier wird nichts überbaut oder überboten und trotzdem bleibt das schwere Erbe des Areals sehr präsent. Der Literaturwissenschaftler in mir (der ich nie war) schwärmt von einer städtebaulichen Ellipse. Ähnlich sah das wohl die Jury, die dieses Konzept mit einem Sonderpreis bedachte; gegen eine Realisierung sprachen allerdings das nur eingeschränkt nutzbare Raumangebot und vor allem die hohen Investitions- und Unterhaltskosten.
Gelungene Schnittchen und hervorragende Tarteletts für nicht ganz 30 Mio. €
Ach ja, Kosten: Für die Realisierung des Gesamtvorhabens (Neubau und Ausstellung) stehen 30 Mio. € bereit, paritätisch getragen von Stadt, Freistaat und Bund. Das man sich nicht lumpen lassen möchte, zeigte auch schon das kleine Buffet zur Pressekonferenz – so gelungene Schnittchen (guter luftgetrockneter Schinken) und hervorragende Tarteletts (hinreißende Zitronencréme!) gibt es bei den sonst eher spartanischen Events der Stadt sonst nicht.