Die Reiseführer des Michael Müller Verlags sind für ihre zahlreichen Tipps bekannt. Der soeben erschienene Band zu Korsika (9. Auflage 2011) macht da keine Ausnahme. Allerdings gibt es auch Geschichten, die es neben den reisepraktischen Hinweisen verdienen, erzählt zu werden. Was hat z. B. ein kleiner Campingplatz auf Korsika mit Muammar al-Gaddafi zu tun? Marcus X. Schmid hat recherchiert und nachgefragt.
Die Militärs fliegen außerhalb der Saison
Etwas nördlich von Solenzara hält seit 2008 ein freundlicher älterer Herr den Camping »Les Eucalyptus« in Schuss, er hat einen neuen Sanitärblock hingestellt. Das Gelände, leider nahe an der Straße, mit seinem kleinen, duftenden Eukalyptushain war bereits früher ein Campingplatz, wurde irgendwann um die Jahrtausendwende aber aufgegeben. Grund war die nahe Luftwaffenbasis. Die über die Köpfe der Camper donnernden Kampfjets des Typs Mirage vergällten manchem Urlauber die friedlichen Korsikaferien. Darüber sprach ich 2010 mit dem neuen Besitzer. Das sei kein Problem mehr, meinte er, die Militärs würden jetzt nur noch außerhalb der Saison fliegen.
Derzeit starten von der Luftwaffenbasis bei Solenzara die Mirages nach Libyen, um dort die Truppen Gaddafis am Abschlachten der eigenen Bevölkerung zu hindern. Ob die Mission der französischen Kampfpiloten über April hinausdauert, ist noch nicht auszumachen. Die Saison auf »Les Eucalyptus« beginnt im Mai, der freundliche Mann versprach für 2011 einen zweiten Sanitärblock. Ich wünsche ihm alles Gute.
Korse Gaddafi?
Noch steigen über dem kleinen Campingplatz die Jets in den Himmel und düsen nach Libyen. Die Kämpfe dort dauern an. Aber früher oder später dürfte sich die Frage stellen: Wohin mit Gaddafi? Der italienische Außenminister Frattini bastelt an einem Lösungsvorschlag, den er ansatzweise den versammelten europäischen Amtskollegen vorgestellt hat. Mit Verlaub, ich hätte der illustren Runde auch einen Vorschlag zu machen: Seien wir großzügig, bieten wir dem verrückten Despoten ein Asyl auf Korsika an! Und nehmen wir ihm gleich bei der Ankunft eine DNA-Probe.
Mit einer DNA-Probe nämlich könnten Gerüchte bestätigt oder widerlegt werden, die seit einigen Jahren regelmäßig im Blätterwald raunen. Selbst der »Spiegel« berichtete 2008 darüber: Gaddafi ist möglicherweise ein Halbkorse. Als Vater wird Albert Preziosi vermutet, ein Luftwaffenoffizier aus dem Bergdörfchen Vezzani (rund 35 km von Solenzara entfernt), der im Zweiten Weltkrieg abgeschossen wurde und seither verschollen ist. In Vezzani ehrt eine Gedenktafel den korsischen Helden. Nachgewiesen ist, dass Albert Preziosi neun Monate vor der Geburt Gaddafis in der libyschen Wüste im Einsatz war, und er soll dort mit einer Beduinin geturtelt und später einem befreundeten Offizier etwas von einem »libyschen Sohn« geflüstert haben. Die physiognomische Ähnlichkeit zwischen Preziosi und Gaddafi ist immerhin so frappant, dass selbst die Mutter Preziosis, als sie in den 1970er Jahren den libyschen Diktator am Fernsehen sah, ausgerufen haben soll: »Schau, unser Albert!« Zugegeben, die Beweislage ist dünn. Jean-Pierre Pagni, der Bürgermeister von Vezzani, hält sich bedeckt und lässt nur vernehmen:
»Nichts spricht dagegen.« Aber der Libyer könne gerne sein Zelt in Vezzani aufbauen, die Gemeinde hätte schließlich Platz genug. Doch das sagte er 2007, da herrschte Tauwetter in der französisch-libyschen Beziehungskiste, und Gaddafi durfte sein Zelt auf den Champs-Elysées aufstellen. Hoffentlich steht der Bürgermeister von Vezzani auch heute noch zu seinem Wort …
Wenn Europa auf mich hört und dem Despoten ein korsisches Asyl gewährt, dann wäre dank Monsieur Pagni immerhin schon die Frage »Wohin mit ihm auf der Insel?« gelöst. Mit dem Jet-Lärm von Solenzara hätte es auch ein Ende, und der freundliche Mann vom Camping »Les Eucalyptus« könnte aufatmen.
Papa lässt grüßen
Sollte sich die korsische Abstammung von Muammar al-Gaddafi tatsächlich bestätigen, so bekäme die Geschichte eine zusätzliche Pointe: Die Luftwaffenbasis von Solenzara, von der aus die Franzosen ihre Einsätze gegen Gaddafi fliegen, trägt – Papa lässt grüßen – offiziell den Namen: »Base Aérienne 126 – Capitaine Preziosi«.