Seit jeher ein Zankapfel: die dampfbetriebene Brockenbahn im Harz. Schon 1899 stand sie in der Kritik. Es waren dieselben Argumente wie kurz nach der Wiedervereinigung: Touristenmassen und funkensprühende Abgase gefährden die Waldeinsamkeit. Gleichzeitig sorgt die Brockenbahn für einen Umsatzboom in der strukturschwachen Gegend.
Im Führerstand ist es heiß, schummerig und laut. Kein Arbeitsplatz für zarte Gemüter. Und es ist eng. Kaum zwei Quadratmeter teilen sich Lokführer und Heizer – und sind dazu noch ständig in Bewegung. Es gilt, an Reglern zu drehen, aus den Seitenfenstern die Strecke zu beobachten und alle paar Minuten die Steinkohle in das Feuerloch zu schippen. Lokführer und Heizer sind die Wichtigsten an Bord der Dampflokomotiven der Brockenbahn. Sie bringen die historischen Kolosse zum Rollen, und diese ziehen die Waggons von Schierke hinauf auf den mit 1.141 m höchsten Gipfel Norddeutschlands. Seit dem 15. September 1991 ist das wieder so – regelmäßig, das ganze Jahr über. Mit bunt geschmückten Sonderzügen hat man das 20-jährige Jubiläum der »Wiederaufnahme des Zugverkehrs zum Brocken« soeben gefeiert.
Eine Zwangspause und ein Sabotageakt
30 Jahre dauerte die Zwangspause, nachdem die von Natur aus baumfreie Bergkuppe 1961 zum streng bewachten Sperrgebiet erklärt worden war, von dem die Horchposten der Sowjets und die Stasi in den Westen lauschten. Nach der Wende wurde die marode, 19 km lange Schmalspurbahnstrecke zwischen Schierke und dem Brockenbahnhof für rund 20 Millionen D-Mark saniert und Mitte September 1991 wieder eröffnet. 30.000 Schaulustige entlang der Bahnlinie feierten dieses Ereignis. Doch nicht alle waren von dieser neuen Freiheit begeistert, ein Sabotageakt hätte die Jungfernfahrt beinahe verhindert: In den Nächten vor der Wiedereröffnung waren ein Gleisstück heraus gesägt und Steinbarrieren auf den Schienen errichtet worden. Erst eine aufwändige Reparatur machte die Strecke am Eröffnungstag wieder befahrbar. Umweltschützer distanzierten sich entschieden von der Tat, doch auch sie waren Kritiker der Brockenbahn. Sie befürchteten, Touristenmassen und stinkende Dampfloks würden den zwei Tage vor der Wiedervereinigung gegründeten Nationalpark Hochharz schädigen.
Waldeinsamkeit versus Reisepöbel
Kritische Stimmen zur Brockenbahn gab es schon früher, vor rund 90 Jahren, als die Brockenbahn 1899 nach dreijähriger Bauzeit erstmals ihren Betrieb aufnahm. Die Kritikpunkte waren dieselben wie 1991, wenngleich sie wie in Hans Hoffmanns Reiseführer »Der Harz« viel poetischer formuliert waren: »Ist es nicht ganz abscheulich, sogar dem erhabenen Haupte des Vater Brocken höchstselbst den eisernen Reif um den geweihten Schädel zu legen? Welch ein Greuel muss es sein, wenn erst an jedem schönen Tage die überfüllten Bahnzüge den zappelnden Reisepöbel auf die ernste Brockenkuppe speien!«
Dabei konnte anno 1899 von einer Waldeinsamkeit schon längst keine Rede mehr sein. Wagen und Omnibusse verkehrten in großer Zahl auf der gut ausgebauten, staubigen Brockenchaussee bis zum Gipfel, auf dass Zeitgenossen die Hoffnung hegten, »die alten Wege vom Wagenverkehr [mögen] entlastet werden, der weit störender ist als die Eisenbahn, denn da klappern die Züge doch nur zeitweilig vorüber«.
37 Millionen Euro Umsatz und 700.000 Touristen
Und wie sieht es heute aus? Die Brockenbahn ist eine der wenigen erhaltenen meterspurigen Gebirgsbahnen Europas und eine bedeutende Touristenattraktion, die jährlich an die 700.000 Menschen auf den Brocken bringt. Aufgrund der Sperre der Brockenstraße kann der Berg sonst nur im Fußmarsch oder mit dem Mountainbike erklommen werden. Einer Studie zufolge sorgt die Brockenbahn für 37 Millionen Euro Umsatz in der strukturschwachen Region und sichert damit Arbeitsplätze.
Auch der Nationalpark, der sich seit 2006 länderübergreifend von Niedersachsen bis Sachsen-Anhalt erstreckt, ist mit seinen Besucherzentren ein wichtiger Tourismusfaktor. Er ist der größte Waldnationalpark in Deutschland und zählt im Jahr rund 4 Millionen Besucher. Brockenbahn und Nationalparkverwaltung arbeiten eng zusammen, ein Liebesverhältnis hat sich noch nicht entwickelt. Die mit Steinkohle befeuerten Dampfloks rußen gewaltig während der Fahrt auf die Gipfelkuppe, Funkenflüge sorgen immer wieder für Waldbrände entlang der Strecke – solche Ereignisse sind mit den Schutzzielen eines Nationalparks schwer vereinbar. Doch eines ist sicher: Beide, die Brockenbahn und der Nationalpark sind aus dem Harz nicht mehr wegzudenken.
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