Unsere »Welt«-Reihe wird wieder um einen Titel reicher: Dank des sympathischen 720-Seiten-Buches zu Cuba von Wolfgang Ziegler (1. Auflage). Der Reisejournalist und Redakteur der Mittelbayerischen Zeitung erzählt in einer spannenden Reportage über die »Oldtimer-Parade« der Hauptstadt, in der die Statussymbole zwar reich gesät sind, das Benzin aber umso teurer ist. Und ein Taxifahrer berichtet, weshalb ein uralter Dodge eine ganze Familie ernähren kann.
Die Straßen Havannas unterscheiden sich kaum von denen europäischer Großstädte. Auf den ersten Blick zumindest. Unaufhörlich wälzt sich die Blechlawine vorwärts, wenn nicht gerade Stoßzeit ist, unentwegt fallen Fußgänger in den Laufschritt, sobald sie die Trottoirs verlassen haben, unmotiviert machen Hupen lautstark deutlich, wer der vermeintlich Stärkere ist. Und doch sind die cubanischen Avenidas etwas ganz Besonderes. Kein Mercedes weit und breit, kein Alfa Romeo, kein Volvo. Nur riesige amerikanische Straßenkreuzer, Cadillacs, Chevrolets oder Buicks etwa, die alle schon bessere Tagen gesehen haben: in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als sie irgendwo drüben, wo jetzt der Klassenfeind wohnt, von den Bändern gelaufen sind. Sie machen Castros sozialistisches Inselparadies heute zum größten Automobil-Museum der Welt.
Ein Handelsembargo und ausgebeulte »Detroit«-Schlitten
Der Grund für diese einzigartige »Oldtimer-Parade« sind die Rohstoffprobleme, unter denen die einstige »Perle der Antillen« leidet. Durch das amerikanische Handelsembargo schon vor dem Fall des »Eisernen Vorhangs« und seit 1989 erst recht. Die Erdöl-Importe, die sich Cuba heute noch leisten kann, fließen in erster Linie in die marode Industrie. Raffiniert wird nur ein geringer Teil, und der wird auch nur gegen harte Devisen abgegeben. Umgerechnet etwas mehr als 0,80 Euro-Cent kostet ein Liter Superbenzin, Diesel die Hälfte – beim monatlichen Durchschnittseinkommen eines Normalverdieners von 350 cubanischen Pesos (knapp 12 Euro) astronomische Summen.
Um den Benzinverbrauch in Grenzen zu halten, dürfen Privatleute auch keine Autos mehr ins Land einführen und seit nunmehr 18 Jahren nicht einmal gebrauchte Fahrzeuge verkaufen. Die einzige Ausnahme stellen die Oldtimer dar. Sie kamen in den Jahren vor der Revolution auf die Insel, als die Diktatoren in Havanna noch beste Beziehungen zur Regierung in Washington pflegten, der Handel über den Golf von Mexiko hinweg florierte und Cuba für reiche US-Amerikaner Sommerfrische, Spielhölle und Bordell in einem war. Nach dem Sieg von Fidel Castro und der damit verbundenen Flucht des Geld-Adels landeten dessen Statussymbole entweder in den Museen oder wurden unters Volk verteilt – eben auch die »Schlitten« aus Detroit und den anderen Auto-Schmieden der USA. Und seitdem befinden sich die früheren Nobel-Karossen zum weit überwiegenden Teil in Privatbesitz und kommen erst gar nicht auf den Markt, obwohl Liebhaber dafür bis zu 10.000 Euro hinblättern würden. Meist stellen sie nämlich die Existenzgrundlage dar, werden vom Vater an den Sohn vererbt, immer wieder ausgebeult und repariert – und rollen und rollen und rollen …
Die »Luxusgüter« des Taxifahrers
Wie der Dodge von Rafael, der sein »Heiligtum« als Taxi zugelassen hat und seitdem Touristen durch Havanna kutschiert – der Devisen wegen, mit denen er nicht nur tanken, sondern auch all das kaufen kann, was in Cuba unter den Begriff »Luxusgüter« fällt. Und das ist außer den Grundnahrungsmitteln fast alles. »Den Wagen fuhr mein Vater schon, als ich noch ein Kind war. Heute ist er zu alt für den Stress auf den Straßen und froh darüber, dass ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene«, erzählt er in akzentfreiem Deutsch. Wie so viele seiner Landsleute hat der Mitt-Vierziger in der ehemaligen DDR studiert. »In Leepzsch«, sächselt er und lacht.
Sein Diplom in Maschinenbau nützt ihm heute allerdings nichts mehr. Nicht einmal bei der Umrüstung seines Straßenkreuzers auf Diesel-Treibstoff habe er seine Kenntnisse benötigt. »Das kann in Cuba fast jeder, und es macht auch fast jeder«, erzählt Rafael. Schließlich spare man gleich doppelt. Diesel koste nur halb so viel wie Benzin, und statt 18 brauche er jetzt auch nur noch acht Liter für 100 Kilometer. Dass er nun mit seinem Oldtimer nicht mehr so flott unterwegs sein kann, macht dem Taxi-Chauffeur überhaupt nichts aus. »Wir sind hier in der Karibik, da ist Zeit nicht wichtig.«
Ein einziges Monatseinkommen reicht gerade einmal für Brot und Reis
Wichtig sind für Rafael nur sein Auto und das Geld seiner Fahrgäste. »Auf Cuba muss man entweder Zugang zu Devisen haben oder mehrere Jobs, sonst kann man nicht überleben«, sagt er kritisch. Mit nur einem Einkommen könne man allenfalls subventionierte Lebensmittel wie Brot und Reis kaufen. An Fleisch von den Bauernmärkten oder gar ausländische Produkte denke die Mehrheit der Bevölkerung nicht einmal. Rafael schon – obwohl auch er trotz Devisen nicht im Luxus leben kann. »Mein Auto macht meine Familie aber zumindest satt und mich unabhängig – sozusagen auto-nom.«