Reportage

Zwischen Mozart, Karaoke und Jamswurzeln.
Ein multikulturelles Wochenende in Brüssel

Brüssel ist mit seinen 1,1 Millionen Einwohnern nicht größer als Köln. Der entscheidende Unterschied: In der Hauptstadt Belgiens leben Menschen aus 180 Nationalitäten bunt gemischt nebeneinander. Wer die multikulturellen Seiten der Metropole abseits der EU-Institutionen kennenlernen möchte, für den hat unsere Brüssel-Expertin Petra Sparrer die wichtigsten Wochenendtipps gesammelt.


Brüssel ist mit seinen 1,1 Millionen Einwohnern nicht größer als Köln. Der entscheidende Unterschied: In der Hauptstadt Belgiens leben Menschen aus 180 Nationalitäten bunt gemischt nebeneinander. Wer die multikulturellen Seiten der Metropole abseits der EU-Institutionen kennenlernen möchte, für den hat unsere Brüssel-Expertin Petra Sparrer die wichtigsten Wochenendtipps gesammelt.

Wer es mit der multikulturellen Brüssel-Reise ernst meint, findet nur ein paar Schritte von der Grand Place entfernt eine angemessene Unterkunft. Der gebürtige Marokkaner Benjamin Ahmed Abderrahman, 2009 von den Medien zum Brüsseler des Jahres erkoren, spielt in der Lobby seines Drei-Sterne-Hotels Mozart (Rue Marché aux Fromages, 23, www.hotel-mozart.be) manchmal Klavier und empfängt seine Gäste in einem verwinkelten marokkanisch gestylten Palast mit Springbrunnen und opulenter Dekoration.
Den Ehrentitel und die mediale Aufmerksamkeit bekam Abderrahman weil im Winter (oder wenn gerade einige der 84 Zimmer frei sind) auch Obdachlose hier übernachten dürfen. Sogar Königin Paola war bei »Mozart« bereits zu Besuch.


Hochkultur, Szenetreffs und Nachtleben

Mitten im Matongé, dem afrikanischen Viertel von Brüssel (Foto: Petra Sparrer)
Mitten im Matongé, dem afrikanischen Viertel von Brüssel (Foto: Petra Sparrer)

Das Sightseeing für Kulturinteressierte könnte in der EU-Metropole mit einem Gang durch den Palais-des-Beaux-Arts (www.bozar.be) des Jugendstil-Architekten Victor Horta beginnen. Im Palast der Schönen Künste sind regelmäßig große Wechselausstellungen internationalen Formats zu sehen. Der Publikumsrenner von 2014 war eine Galerie der Werke des spanischen Meisters Francisco de Zurbarán. Derzeit läuft die Ausstellung »Boomerang« der belgisch-kongolesischen Künstlerin Pascale Marthine.
Auch die Brüsseler Philharmonie hat in den Art nouveau-Gebäuden ihren Sitz. Neben Gastspielen für zeitgenössischen Tanz stehen pro Saison 250 (!) Konzerte verschiedener Genres auf dem Programm. Dafür verantwortlich zeichnet übrigens ein deutscher Musikdirektor: Ulrich Hauschild; ein Interview mit ihm ist im Reiseführer zu lesen.
Espace Magh (www.espacemagh.be), Espace Senghor (www.senghor.be) und l’Horloge du Sud (www.horlogedusud.be) wiederum sind lokale Treffs für maghrebinische und afrikanische Kultur mit Live-Musik, Filmen, Lesungen und Ausstellungen.
Ein Nightlife-Hotspot mit bunt gemischtem Stammpublikum ist außerdem das Live-Musik Café (Boulevard Ansbach 90-92) neben der Börse. Mit Mr. Wong (Rue de la Vierge Noire 10) bietet Brüssels »Chinatown« den Nachtschwärmern dahingegen gut gemachte DJ-Partys in einem früheren Chinarestaurant mit belgischem Art-déco-Interieur. La Tentation (Rue de Laeken 28), Brüssels galicisches Kulturzentrum, veranstaltet eher Jazzkonzerte und Salsa-Nights.
Wer lieber selbst singen möchte, erlebt Brüssel kontaktfreudig, vorwiegend europäisch und mit viel Ambiente in der kleinen Karaoke Bar am Sablon (Rue Ste Anne 34). Voller Inbrunst geben Fans aus Belgien, Frankreich oder Italien ihre Lieblingschansons zum Besten – von Jacques Brel bis Nana Mouskouri …


Weit, weit entfernt von Brüssels europäischen Institutionen

Die brasilianische Variante des Manneken Pis (Foto: Petra Sparrer)
Die brasilianische Variante des Manneken Pis (Foto: Petra Sparrer)

Noch spannender als der klassische Besuch im Brüsseler Europaparlament ist das Parlamentarium nebenan (Rue Wiertz 62, www.europarl.europa.eu). Hier entführt der »Tunnel der Stimmen« in das babylonische Wirrwarr der 24 EU-Amtssprachen. Wenn man den 360-Grad-Panoramafilm aus dem Parlament anschaut, fühlt man sich fast, als wäre man mitten im Geschehen dabei. Mehr als eine Stunde sollte man aber schon für die interaktive Ausstellung des Parlamentariums einplanen, denn man kann sich endlos informieren und unterhalten.
Wer direkt anschließend von der Rue Wiertz in die Chaussée de Wavre Richtung Porte de Namur einbiegt, ist schon innerhalb weniger Minuten in einer ganz anderen Welt, weit, weit entfernt von Brüssels europäischen Institutionen. Gesäumt von kleinen Lebensmittelhändlern und Internetcallshops führt die Chaussée de Wavre ins Matongé.
Das Viertel der Afrikaner im Stadtteil Ixelles ist nach dem Kneipenviertel der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa benannt. In der verkehrsberuhigten Seitenstraße Rue Longue Vie wird gefeiert, gegessen und getrunken. Das Matongé besteht aus etwa drei bis vier Seitenstraßen mit flämischen Szenecafés und Bioläden und ist bis heute so lebhaft wie in den 1960er-Jahren, als es entstand.
Nachdem die meisten afrikanischen Staaten ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, kamen viele Studenten und Intellektuelle aus Kamerun, Togo, dem Senegal und dem Kongo nach Brüssel. Sie trafen sich in den Cafés und Clubs des Matongé. Die Frauen der Studenten eröffneten die ersten Friseursalons und Lebensmittelgeschäfte. Man bekommt so gut wie alles, was es in Afrika auch gibt: geräucherten Fisch, Fleisch, Jamswurzeln, Gewürze.
Besonders samstags kann man Stunden bei einem der vielen Frisöre in der Galerie verbringen. Die genähten und geflochtenen Frisuren sind oft wahre Kunstwerke. Wer kein afrikanisches Haar hat oder nicht so viel Geduld mitbringt, findet in der Chaussée d’Ixelles eine Riesenauswahl an Perücken und Haarteilen.

Wer von der Rue Wiertz in die Chaussée de Wavre Richtung Porte de Namur einbiegt, taucht ein in eine andere Welt … (Foto: Petra Sparrer)
Wer von der Rue Wiertz in die Chaussée de Wavre Richtung Porte de Namur einbiegt, taucht ein in eine andere Welt … (Foto: Petra Sparrer)

Wer lieber einen der bunt gemusterten, afrikanischen Wax-Stoffe als Souvenir erstehen möchte, wird freundlich beraten, wie man sie wickeln kann. Die Stoffe bestehen aus gewachsten Baumwollfasern und bieten so einen Schutz gegen Regen. Sie rascheln nicht, sind aber relativ schwer und werden in jeder gewünschten Größe zugeschnitten. Es gibt traditionelle Muster und Farben, die verraten, ob eine Frau unverheiratet, verheiratet oder verwitwet ist – sofern man sie denn zu deuten vermag …
Wer wissen möchte, wo eine Wohnung vermietet wird, ob jemand gestorben und wann der Bestattungsgottesdienst anberaumt ist, findet diese Infos in der Galerie d’Ixelles auf kleinen Zetteln an den Fenstern der Läden – das schwarze Brett der afrikanischen Gemeinschaft von Brüssel.
Ende Mai feiert sich das afrikanische Viertel mit dem Matongé en Couleur selbst, einem auch für Besucher geöffneten multikulturellen Festival. Es wird Fisch und Fleisch gegrillt, Live-Musik gespielt und getanzt. Man kann auf der Straße Tischtennis spielen oder ein Sommerkleid kaufen, ganz wie man möchte und wonach einem gerade ist.


Sonntags shoppen und ins Hammam

Nicht unbedingt Stangenware, die afrikanischen Wax-Stoffe, die gegen Regen schützen (Foto: Petra Sparrer)
Nicht unbedingt Stangenware, die afrikanischen Wax-Stoffe, die gegen Regen schützen (Foto: Petra Sparrer)

Am Sonntag lohnt es sich, in das Gedränge auf dem Markt an der Gare du Midi einzutauchen, frische Oliven, Käse, Minzeblätter und Gewürze für zu Hause zu kaufen und sich ein zweites Frühstück (Eierkuchen und Honig) an einem der Stände zu gönnen. Hier begegnet man der multikulturellen Bevölkerung erneut hautnah.
Und wer noch nicht genug eingetaucht ist: An den früheren Schlachthöfen von Anderlecht (Abattoirs d’Anderlecht, Metro Clemenceau) gibt es einen weiteren Markt. Um 13 Uhr kann man dann noch den kultigen kleinen Flohmarkt auf der Place du Jeu de Balle (täglich) in den Marollen besuchen, der sonntags bis 15 statt wie an Wochentagen bis 13 Uhr geht. Die kleinen Restaurants rundherum und die Antiquitätenläden in Rue Haute und Rue Blaes sind zu dieser Uhrzeit ebenfalls geöffnet.
Und wer sich mal richtig entspannen und verwöhnen lassen möchte, geht ins marokkanische Hammam Le Riad (Rue Gallet 29, www.leriad.be, Tram 93 bis Place Liedts) in Schaerbeek. Dampfbad, Peeling und Massage – höchst authentisch, erschwinglich und nach Geschlechtern getrennt.

Viel Freude in »meinem« multikulturellen Brüssel!

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