On Tour

Die Anekdote vom Verhör in der Metropole des europäischen Autoschmuggels

Einen unserer skurrilsten Reiseführer hat Achim Wigand verfasst. Sein Werk zu »Montenegro« (3. Auflage 2013) ist nicht nur extrem praktisch, es liest sich äußerst süffisant. Was daran liegt, dass Wigand eigentlich vom Theater kommt und weiß, was gute Unterhaltung ausmacht. Eine Unterhaltung mit Tiefgang, versteht sich. Oder anders gefragt: Montenegro? Ist da nicht Krieg?


Wie man Reiseführer schreibt, glaube ich hinlänglich beantwortet zu haben. Deshalb zu den anderen Rätseln meines rätselhaften Gewerbes: Wieso nun gerade Montenegro, wo ist das überhaupt, wie sieht es da aus und, unvermeidlich, ist da nicht Krieg? Hier also ein authentischer Bericht aus mittlerweile eineinhalb Dekaden Montenegroerfahrung: Krieg ist da keiner mehr und das auch schon ziemlich lang. Die letzten Kampfhandlungen fanden in den Novembertagen 1944 statt – da ist also schon länger Frieden als im Großraum Bamberg! Trotzdem ist das keine völlig dusslige Frage. Das Staatsgebiet des ehemaligen Jugoslawiens der Tito-Ära ist ja durchaus einschlägig auffällig geworden, aber aufgemerkt: Hunde sind keine Katzen und Bosnien ist eben nicht Montenegro.
Das heißt selbstverständlich nicht, dass der kleine Adriastaat von den Umbrüchen und Wirren der letzten 20 Jahre nicht betroffen gewesen wäre. Tatsächlich kenne ich das Land unter drei verschiedenen Bezeichnungen: Beim ersten Mal stempelte man mir noch ein »SR Jugoslavija« in den Pass, 2003 war es dann »SCG« (für Srbija i Crna Gora, also Serbien und Montenegro), seit Juni 2006 heißt Montenegro nach erfolgreicher Abspaltung tatsächlich Montenegro bzw. in der südslawischen Landessprache Crna Gora (crna = schwarz, gora = Berg).


Der Schrumpfkopf des Polizeichefs

Die Anmut des Sozialismus in Niksic. (Foto: Achim Wigand)
Die Anmut des Sozialismus in Niksic. (Foto: Achim Wigand)

Am spannendsten war natürlich die Anarchie. In Belgrad zog noch der Despot Miloševic an den Strippen, allerdings reichten die nur noch pro forma bis in den Südteil des Rumpfstaates. Und starker Mann in Montenegro war bereits der bis heute allfällige Milo Dukanovic, das Land eine rechte Räuberhöhle.
Dran schuld waren freilich die Ausländer und deshalb war es nur logisch, dass man unsere kleine Theatertruppe, die sich auf dem Rückweg von einem Traumurlaub befand, auf der Hauptstraße nach Nikšic kurzerhand festnahm. Der Polizeichef in Podgorica war über Nacht erschossen worden und darin konnte nur unser konspirativer Zirkel von Theaterkasperln verwickelt sein. Waren wir dann aber doch nicht – befand man zumindest auf der örtlichen Staatsschutzstelle, wo wir nach einem nervenaufreibenden Verhör mit den diensthabenden Knallchargen (unter anderem bestand man darauf, mit uns Lili Marleen zu singen) wieder freigelassen wurden.

Der längste Sonnenuntergang des noch jungen Landes. (Foto: Achim Wigand)
Der längste Sonnenuntergang des noch jungen Landes. (Foto: Achim Wigand)

Hätten die mal ordentlich gebohrt: Noch heute habe ich den Schrumpfkopf des Polizeichefs an der Wand hängen. Schade war nur, dass der Bus nach Bosnien nicht auf uns warten konnte und wir in der damaligen Metropole des europäischen Autoschmuggels festsaßen. – Genau das erwies sich dann doch als Vorteil: Ein örtlicher Fuhrunternehmer zog aus einem Karton mit Nummernschildern ein offenbar passendes heraus, schraubte es auf einen frisch geklauten Kleinbus aus schwäbischer Produktion und schipperte uns ins damals noch ziemlich zerrupfte Mostar.
Die Geschichte erzähle ich seitdem immer gerne als Anekdote, Titel: »Unter Mordverdacht im Hinterland«. Meistens mache ich sie dramatischer, mit Fluchtversuch, Wasserfolter und explodierendem Dynamit. (Das hatte ich tatsächlich dabei. Damals war es noch spielend möglich, in Tivat im Anglerbedarf eine Stange Dynamit zu erstehen. Damit gingen die die Fischer damals ihrem Tagwerk nach: Kawumm und ein kompletter maritimer Lebensraum trieb bauchoben an der Wasseroberfläche. Ökologisch freilich bedenklich, aber am nächsten Silvester war ich der Held des Feuerwerks. Chinaböller, ihr Flaschen …)


Abenteuer Albanien und die Freude an kleineren Dingen

Der Sieger im Hach-ist-der-aber-süß-Contest. (Foto: Achim Wigand)
Der Sieger im Hach-ist-der-aber-süß-Contest. (Foto: Achim Wigand)

Dieses Goldene Zeitalter ungezügelter Regellosigkeit war dann bei den Grundlagerecherchen 2005 leider vorbei. Da wurde man maximal noch von einigen Polizisten auf Freizeitstreife angehalten, damit die Jungs abends ihr Bier zahlen konnten. – Für ein echtes Abenteuer konnte man aber noch nach Albanien fahren. Schon allein die Grenzübergangsprozedur war von ergreifendem spätstalinistischem Charme: ewige Wartezeiten, Stapel rätselhafter (weil eben albanischer) Formulare und unverhüllte Provisionszahlungen an grimmige Grenzpolizisten. Zum Ausgleich gab es verdorbene Sahnetortengebirge aus spannungsunterversorgten Kühltruhen; die vielen Notstromaggregate auf der Straße hätten doch misstrauisch stimmen sollen … Ein diarrhötisches Erlebnis war es aber allemal.

Lebt jetzt in meiner Badewanne und hört auf den Namen Björn. (Foto: Achim Wigand)
Lebt jetzt in meiner Badewanne und hört auf den Namen Björn. (Foto: Achim Wigand)

Heute freue ich mich an kleineren Dingen: Immer noch wird einem unter der profanen Bezeichnung »Gemischtes Fleisch« ein liebevoll gegrillter toter Zoo auf den Tisch gestellt, die Straßen fordern weiterhin den ganzen Automobilisten – und irgendwann bringe ich mir auch noch ein süßes Haustier mit. Derzeit schwanke ich zwischen einer Schildkröte, einem puschelohrigen Eselsfohlen, einer bunten Eidechse oder einfach nur einem völlig verlausten und verwurmten Straßenköter.
Krieg ist weiterhin keiner – das wäre auch für die eher gemütlich zu nennende Arbeitsmoral deutlich zu aufwändig, und so liegt Montenegro weiterhin dort, wo es hingehört: westlich von Kroatien, südlich von Serbien und nördlich von Albanien.

Passend dazu