Selten ist man als authentischer Reisebuchautor in offiziellen Touristenämtern beliebt (siehe »Kafka in der Kurverwaltung«). Der Hintergrund ist so banal wie nachvollziehbar: Nicht immer entsprechen die »Sights«, die von den Marketingabteilungen als besonders bedeutend gepriesen werden, den realen Einschätzungen der Urlauber und Journalisten. Diesmal jedoch – war alles anders. Für die 7. Auflage von »Kos« plante Frank Naundorf ein Interview mit dem hiesigen Bürgermeister. Als Kostas Kaiserlis seine Lieblingstavernen im Buch entdeckte, wurde unser Kos-Experte in einen unerwarteten Ehrenstand erhoben. Getreu dem Motto »Wir mögen die Deutschen – nur Merkel nicht!«
Gute Vorbereitung ist alles. Deswegen werte ich im Vorfeld nicht nur Leserzuschriften, Blogs, Foren, andere Reiseführer und Artikel aller Art aus, sondern versuche auch immer neue Formate für den Reiseführer zu finden, die das Lesen spannender machen. Denn schließlich soll der Reiseführer nicht nur Nützliches liefern, sondern bestenfalls auch ein wenig unterhalten.
Ein journalistisch pfiffiger Wunsch
Ein Interview, das wär’s doch, dachte ich. Schließlich fehlt diese journalistische Form bislang. Und sie wäre wunderbar geeignet, die Folgen der ökonomischen Krise fassbar zu machen – wenn ich den richtigen Gesprächspartner finden würde. Jemanden, der die Auswirkungen einordnen kann, der vorauszusagen in der Lage ist, was dies für die Entwicklung des Tourismus und die Koer, die Einwohner der Insel Kos, bedeutet …
Da kann es eigentlich nur einen geben: Bürgermeister Kostas Kaiserlis, ein Grandseigneur, demokratischer Linker, viele Jahre Bürgermeister. Die politische Karriere führte ihn nach Athen, wo er 2000 bis zum stellvertretenden Innenminister aufstieg. 2010 kehrte er nach Kos zurück – und steht seitdem wieder an der Spitze der Insel mit ihren 32.000 Einwohnern. Ja, den wollte ich befragen.
Terminstress auf der Insel des Hippokrates
Ein Zugang zum Bürgermeister muss also her. Und natürlich ein Termin. Das geht am besten über den Pressesprecher, dem ich eine Mail schicke. Die Antwort von Ioannis Fragkoulis kommt prompt, aber nicht so, wie ich sie mir wünschte. Da der Bürgermeister viele Termine hätte, könne er mir keinen persönlichen Empfang versprechen; das Interview müsse wohl schriftlich stattfinden.
Na ja, dachte ich mir, besser als nichts. Und da ich einige Erfahrung im Redigieren mitbringe, würde wohl ein lebendiger Text entstehen. Ein Foto allerdings, das müsste ich unbedingt schießen, teilte ich Sprecher Fragkoulis unmissverständlich mit. Und hatte Erfolg: Der Bürgermeister freue sich, mich am Dienstagmittag um 13 Uhr zu empfangen, antwortete er mir einige Tage später. Wunderbar!
Ein Balkon zum Hochhalten von Meisterschalen
Bei 35 Grad und wolkenlosem Himmel schlendere ich über die Palmenallee Finikon, vorbei am venezianischen Kastell und der Platane des Hippokrates zur Stadtverwaltung, einen während der italienischen Besatzungszeit errichteten Palazzo im Zentrum des muschelförmigen Mandraki-Hafens. Ioannis erwartet mich bereits im Vorzimmer des Bürgermeisters, das wir nach kurzer Begrüßung auch direkt betreten.
Ein gewaltiger Raum, holzgetäfelt, mit einem guten Dutzend vorwiegend religiöser Bilder und einigen Ikonen geschmückt, hohen Vitrinen, einer großen Sitzecke, einem noch größeren Konferenztisch und einem Balkon zur Promenade und dem Hafen. (Der würde sich sicher wunderbar für das Hochhalten von Meisterschalen eignen.) Der Bürgermeister begrüßt mich freundlich, wir stellen uns vor, ich erläutere mein Anliegen – und steige unmittelbar ins Interview ein.
Der Bürgermeister dreht den Spieß um
Kostas Kaiserlis taut schnell auf, ist aufmerksam und offen für meine Fragen. Der 67-jährige scheint froh zu sein, dass hier niemand sitzt, der ihn zu größeren Sparanstrengungen ermahnt oder die Sicherheit von Urlaubern auf Kos bedroht sieht. Stattdessen interessiere ich mich für die Probleme und Perspektiven der Insel. Doch noch mehr interessiert er sich für meine Arbeit.
Und so dreht sich das Gespräch: Der Bürgermeister blättert durch den Reiseführer, stellt Fragen, ich antworte. Dass ich die Insel seit 25 Jahren bereise, etliche Wanderungen über die Hänge des Dikeos beschrieben habe und alle seine Lieblings-Tavernen kenne, der Bürgermeister scheint beeindruckt. Ich sei ja eigentlich ein Einheimischer, meint er. Und fragt weiter: Wie ich die touristischen Perspektiven der Insel einschätze, welche Punkte für ein unverwechselbares Image von Kos sorgen und welche Projekte die Infrastruktur am effizientesten verbessern würden. Wir diskutieren angeregt und lang.
Die Überraschung zum Schluss
Plötzlich taucht er ab unter die Schreibtischplatte, öffnet eine Schublade, holt eine Pappschachtel heraus. Der Pressesprecher bittet mich, aufzustehen. Kostas Kaiserlis eilt um den Schreibtisch herum, wickelt das handgefertigte Stadtwappen aus der Verpackung und überreicht es mir.
Plötzlich bin ich eine Art Ehrenbürger – darauf war ich nicht vorbereitet.