Es wird Zeit, unsere On-Tour-Serie neu zu beleben. Darin gehen wir der Frage nach, wie man Reiseführer recherchiert und was einem dabei passieren kann. Heute ist Diana Stănescu am Start, die von einem – leider – schmerzhaften Erlebnis erzählt, das ihr in Amsterdam widerfahren ist, als sie … Aber, lesen Sie selbst!
Es sollte nur ein Foto für den Amsterdam-Reiseführer aus der neuen »Stadtabenteuer«-Reihe werden. Dass es ein ganz besonderes »Stadtabenteuer« für mich als Autorin wird, ahne ich noch nicht, als ich zum Kloveniersburgswal gehe, um das Trippenhuis zu fotografieren, das größte Wohnhaus der Stadt. Ich marschiere zügig voran, schaue dabei nach hinten, um die Hausnummer 29 zu finden … und BUMMMMM!!! Ein gigantischer Schmerz schlägt in meinen rechten Oberschenkel ein. WAS WAR DAS???
Ich komme zu mir, orientiere mich und sehe ihn: den Poller des Grauens. Schief steht er da, ein gusseisernes Teil mit spitzem Knauf, der sich in meinen Schenkel gebohrt hat. Nachdem mein Magen wieder an seinen Platz rutscht, sage ich mir: Krönchen richten, weitergehen, ist nur eine Prellung. Es ist mein letzter Recherche-Aufenthalt, und es gibt viel zu tun.
Ein Concierge und ein Kühlpack
Ich humple also zum nächsten Programmpunkt: Das ist ausgerechnet das Hasch- und Marihuana-Museum. Vielleicht gibt’s ja dort einen kleinen Museumsjoint als Schmerztherapie … Gibt es nicht, stattdessen eine Bank, auf der ich mich kurz ausruhe. Beim Aufstehen sackt mein Bein unter mir weg, und mir wird klar: Mein Programm muss abgekürzt werden.
Das Grand Hotel Krasnapolsky mit der Bar, die ich für die Ausgehtipps testen will, ist nah. Ich schleppe mich zum Eingang, und ein mitfühlender Concierge fragt, was mir zugestoßen sei. Ich klage ihm mein Leid, und er will gleich ein Eispack holen. Ich kläre auf, dass ich nicht in dem Fünf-Sterne-Hotel residiere, sondern lediglich die Bar aufsuchen möchte. Er findet es offenbar nicht weiter verwunderlich, dass man in diesem Zustand eine Bar aufsuchen möchte, und versichert freundlich, es mache keinen Unterschied, ob ich Hotelgast sei oder nicht. Einfach wundervoll, die Amsterdamer!
Samt Kühlpack hinke ich zur Bar, lasse mich in eine Edelcouch sinken und bestelle einen Cocktail. Nach dem ersten Schluck will ich auf der Toilette nach Zustand und Farbe meines geschwollenen Oberschenkels sehen. Ich versuche mich zu erheben und … WUMMMM!!! Schmerz lass nach! Aufstehen ist definitiv nicht mehr möglich. Gut, es gibt schlimmere Schicksale, als in der Edelbar eines Fünf-Sterne-Hotels zu stranden, dennoch wird diese Bar irgendwann schließen … und dann?
Morphium
Ich rufe die Bedienung und sage: »Ich kann nicht aufstehen.« Sie schaut abwechselnd zu meinem Cocktail und zu mir, sodass ich schnell anfüge: »Ich habe eine starke Prellung, ein Unfall.«
Sie holt per Handy Hilfe, und nach wenigen Minuten stehen zwei Sanitäter und eine Sanitäterin vor mir. Die Männer helfen mir auf die Trage und befördern mich unter den interessierten Blicken der Gäste aus der Bar.
Vorneweg schreitet würdevoll der Concierge in weißen Handschuhen und Livree. Er führt unsere kleine Prozession durch die Marmor-Lobby in einen leeren Konferenzsaal, wo die Sanitäter meine Sänfte abstellen. Ich frage nach einem Schmerzmittel. Der Sanitäter nickt verständnisvoll, gibt mir eine Spritze und sagt: »Da ist Morphium drin, gleich geht es Ihnen besser, die Wirkung hält 30 Minuten an.« Morphium??? Für eine Prellung??? Prima! Es wird warm, ruhig und angenehm in mir. Ich danke für die »free coffee-shop-experience«, die Sanitäter lachen und fügen an: »Wir nehmen Sie ins Krankenhaus mit, um sicher zu gehen, dass nichts gebrochen ist.«
Im Krankenhaus bin ich offenbar die einzige Patientin. Ich sage dem Arzt: »In Deutschland sitzt man stundenlang in der Notaufnahme!« Er lacht: »Im Moment spielt Ajax Amsterdam. Sie sollten mal sehen, was nach dem Spiel los ist!« Dieses Erlebnis bleibt mir immerhin erspart, denn nach dem Röntgen gibt er Entwarnung, versorgt mich mit Schmerzmitteln, verbindet den dick geschwollenen Oberschenkel und verabschiedet mich mit der zutreffenden Prognose, dass ich sechs bis acht Wochen viel Spaß an der Prellung haben werde.
Ein Hausboot und ein Sketch mit Mr. Bean
Ich bestelle ein Taxi und denke an meine Unterkunft: Ausgerechnet diesmal habe ich ein Hausboot gemietet, weil eine Übernachtung darauf eines der »Stadtabenteuer« im Buch werden soll.
In den Bauch des Hausboots gelangt man über eine sehr steile Hühnerleiter … Ich sperre auf, und die Leiter wirkt plötzlich so furchteinflößend wie eine Weltcup-Abfahrt. Der beschwerliche Abstieg mit steifem Hinkebein ist aber rein gar nichts im Vergleich zur Treppen-Challenge mit Koffer am nächsten Morgen: Stufe um Stufe hieve ich meinen Koffer die Hühnerleiter hinauf. Es dauert ewig und sieht aus wie in einem Sketch mit Mr. Bean. Oben schweißgebadet angekommen, stelle ich mich der Schlüssel-Challenge: Ich muss aufs Bootsdeck steigen, möglichst die Balance halten und den Schlüssel durchs gekippte Dachfenster runter ins Apartment werfen. Anweisung des Vermieters.
Als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe, kommt ein muskelbepackter Mann mit Tüten voller Handtücher und Bettwäsche, sperrt »mein« Hausboot auf und sagt: »Housekeeping!« Ich starre ihn ungläubig an – dieser Mensch hätte meinen Koffer mit dem kleinen Finger hochgehievt!!! Ich rufe ein Taxi und ziehe in ein Hotel mit Aufzug. Weitere zwei Tage humple ich durch Amsterdam und fahre sogar einbeinig Tretboot auf den Grachten.
Mein Bein, mein Buch
Zuhause schreibe ich das Buch im Bett zu Ende – und bestaune die Farbspiele auf meinem Oberschenkel: veilchenblau, lindgrün, gelb … Als das Buch fertig ist, ist auch mein Bein wieder fit. Bisschen spät, finde ich, aber andererseits: Mit zwei Beinen Tretboot fahren kann ja jeder.