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»Ich wollte herausfinden, ob ich gegen eine Weltstadt bestehe.«
5 Fragen an Matthias Kröner

2011 schrieb Matthias Kröner einen Reiseführer zu Lübeck. Sein zweites Buch handelte von einer etwas größeren Stadt: von Hamburg. Wir wollten wissen, was Kröner an dieser Weltstadt mitriss, wie seine versteckten Highlights aussehen – und warum er sich manchmal kritisch gegenüber Restaurants und Museen äußert.


1. Ihr Reiseführer zu Lübeck hat sich in der ersten Auflage sehr gut verkauft. Sie wollten danach einen Reiseführer zu Hamburg schreiben. Wie verlief die Recherche im Gegensatz zu Lübeck?

Es war ein vollkommen anderes Projekt, schwieriger, komplizierter, größer. – Hinterher dachte ich, ich wollte vielleicht herausfinden, ob ich gegen eine Weltstadt bestehe. Der Lübeck-Reiseführer erschien mir dann wie eine Art Aufwärmphase. So ein Buch zu schreiben, ist ja immer auch ein Boxkampf mit einer Stadt. Man kriegt einige Treffer weg, wenn man nicht gut genug vorbereitet ist, nicht ganz genau weiß, wie man seine Recherchetage und -nächte verbringen will.
Im Gegensatz zu Lübeck, wo die Recherche quasi vor der Haustüre lag [Matthias Kröner lebt in der Nähe von Lübeck; Anm. d. Red.], wäre ich in Hamburg fast schon vor dem Besteigen des Rings k. o. gegangen: als mir in einer ruhigen Minute klar wurde, welches Gebiet ich da bis ins kleinste Detail erkunden sollte … Auch der erste Recherchetag verlief alles andere als reibungslos …


2. Trotzdem sollte es die Elbmetropole sein. Warum ausgerechnet diese Weltstadt?

Verliebt in Hamburg (Foto: Matthias Kröner)
Verliebt in Hamburg (Foto: Matthias Kröner)

Da war etwas, das mich nicht mehr losließ, dass mich immer wieder dorthin zog, an den Elbstrand, in die HafenCity, ins St. Pauli der Einheimischen, ins Kontorhausviertel. Um es in einem Satz zu sagen: Es war schiere Faszination.
Lübeck ist niedlich, man flaniert durch eine Altstadt, die für jeden etwas zu bieten hat (gleichgültig ob man 18 oder 88 ist). Hamburg fällt über einen her. Jedes Haus hat seine eigene Geschichte. Und die ganze Stadt erfindet sich ständig neu. Während in Lübeck alles entspannt bleibt, sieht man in Hamburg den Wandel, den Umsturz, die neu anbrechende Zeit, die sich von nichts und von niemand einsperren lässt.
Da spielt es nicht einmal eine Rolle, dass die Weltstadt an der Elbe alles andere als übertrieben schön ist – entgegen der Trotzbezeichnung vieler Hamburger, in der schönsten Stadt der Welt zu leben … So ein Adjektiv hat Hamburg überhaupt nicht nötig. Die Stadt haut einen einfach um. Womit wir wieder beim Bild mit dem Boxkampf wären.


3. Sie sind in Ihrem Reiseführer teilweise sehr kritisch gegenüber Restaurants und Museen? Ist das angebracht?

Auf der Reeperbahn morgens um 9 … (Foto: Matthias Kröner)
Auf der Reeperbahn morgens um 9 … (Foto: Matthias Kröner)

Meines Erachtens schon. Warum? Weil die meisten Hamburgbesucher gerade mal zwei Tage in der Elbstadt zubringen. Für diese 48 Stunden möchte ich ihnen ein gutes Werkzeug mitgeben. Was bringt es denn, Restaurants und Museen nur zu loben? Gerade die Ausgewogenheit zwischen Vor- und Nachteilen ist doch das, was man eine anwendbare Kritik nennt. Zumal sich dann jeder selbst überlegen kann, was ihm wichtig oder eben nicht so wichtig ist.
Im Übrigen lobe ich aber auch viel. Denn in Hamburg gibt es erstklassige Lokale (übrigens auch für Vegetarier und Veganer) und hervorragende Ausstellungen, und ich war überall und habe mir alles angesehen.


4. Sie beschreiben sieben Spaziergänge durch die wichtigsten Stadtviertel, aber auch Abstecher in die Sternschanze, ins Grindelviertel oder nach Eppendorf. Was waren Ihre persönlichen Highlights? Was würden Sie einem Hamburg-Besucher empfehlen, der nur einen Tag in der Weltmetropole an der Elbe sein kann?

Entlang der Hafensilhouette fährt die U 3 oberirdisch (Foto: Gabriele Kröner)
Entlang der Hafensilhouette fährt die U 3 oberirdisch (Foto: Gabriele Kröner)

Ganz klar, die »Schanze«. Die abgerockten und mit Graffitti verzierten Altbauten haben mich sofort für sich eingenommen. Zumal das Schanzenviertel – im Gegensatz zum gar nicht so berüchtigten Kiez – kein Klischee darstellt. Nirgendwo sonst sieht man eine solch ungewöhnliche Mischung aus Linksautonomen und geschniegelten Kreativen wie dort. Die Sternschanze (wie sie behördlich-korrekt heißt) ist für mich der echte Kiez, eine absolute Besonderheit Hamburgs.
Wo wir bei Kiezen sind: Auch das St. Pauli nördlich der Sexmeilen hat was. Dort geht es zu wie früher in Friedrichshain und heute in Neukölln: angenehm antikapitalistisch und sehr familienfreundlich.
Der Hamburgreisende, der nur einen Tag zur Verfügung hat, wird wahrscheinlich nachts durch die Reeperbahn ziehen wollen. Kann man machen, doch man darf nicht enttäuscht sein, wenn man Ballermannfeeling überstehen muss, Junggesellenabschiede, viele Betrunkene und die Dirndl-Fraktion … Man kann dieses St. Pauli nicht mehr mit dem St. Pauli der 80er-Jahre vergleichen.

Der authentische Kiez nördlich der Sexmeilen (Foto: Mirja Schellbach)
Der authentische Kiez nördlich der Sexmeilen (Foto: Mirja Schellbach)

Die Klassiker, die Speicherstadt und die HafenCity, würde ich natürlich auch besuchen. Mit der U3 vom Rathaus zu den Landungsbrücken sieht man einen spannenden Teil der Hafensilhouette, für die Hamburg so berühmt ist. Auch die ewig unfertige Elbphilharmonie mit ihren sie flankierenden Kränen kann man hier bestaunen, da die U-Bahn in diesem Abschnitt oberirdisch unterwegs ist.
Mit einem »Bus auf dem Wasser« könnte man dann noch zum Elbstrand schippern, zuvor würde ich durch den Alten Elbtunnel laufen und die Skyline Hamburgs von Steinwerder aus ansehen.
Wenn es ein Museum sein soll, empfehle ich das Bucerius Kunst Forum. Es hat etwas von einem Galeriebesuch to go, man fühlt sich nicht übersättigt, sondern angeregt und kann noch sehr viel von dem aufnehmen, was Hamburg sonst noch bietet. Außerdem steht man direkt neben dem großartigen Rathaus (eine Führung lohnt sich!) und gelangt ziemlich schnell zum Kontorhausviertel. Inmitten dieser expressionistischen Klinkerbauten ist es nicht schwer, sich wie im weltberühmten Stummfilm »Metropolis« von Fritz Lang zu fühlen.
Ich merke schon: Ich könnte noch Tage so weiterschreiben. Doch mein Verlag verbietet es mir. Wir wollen auch Bücher verkaufen, heißt es …


5. Was steht als nächstes an?

Zunächst einmal möchte ich etwas durchatmen – und mich einigen literarischen Arbeiten widmen. Davon abgesehen, würde mich Weimar interessieren oder Lüneburg. Doch ich bin ein Papa mit zwei kleinen Kindern. Da kann man nicht so oft unterwegs sein. Sollten diese Projekte noch später möglich und gedruckte Reiseführer dann noch gefragt sein, könnte ich mir vorstellen, sie anzugehen.

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