2007 zog es Matthias Kröner nach Lübeck. Der mehrfach ausgezeichnete Autor und Journalist (www.fair-gefischt.de) wollte in der Nähe des Meeres leben. Kurz darauf besuchte ihn Kult-Verleger Michael Müller aus Erlangen: Eine Zusammenarbeit zu einer der schönsten deutschen Städte entstand. Inzwischen hat sich der persönlich verfasste Reiseführer »Lübeck MM-City« über 10.000-mal verkauft – und liegt aktuell in 2. Auflage 2013 vor. Im Interview verrät Kröner, was ihm an der »am meisten unterschätzten Stadt Deutschlands« so gut gefällt.
1. Herr Kröner, Sie schreiben zu Beginn Ihres Buches: »Gäbe es eine Rangliste der in Deutschland unterschätzten Städte, läge Lübeck an erster Stelle.« Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Das war natürlich ein wenig provokativ gemeint, hat aber einen authentischen Hintergrund. Zum einen leiden viele Lübecker an einem sympathischen Minderwertigkeitskomplex und verteidigen sich häufig, weshalb sie gerade hier leben. Zum anderen werde ich immer wieder gefragt, warum es mich ausgerechnet nach Lübeck gezogen hat. Ich reagiere dann immer mit einer Einladung. Und die Gäste sind jedes Mal sehr begeistert: von der Lebendigkeit (denn verstaubt ist in Lübeck nur das Holstentor), von der Kulinarik (es lebe die Fischküche!), von der außergewöhnlich gut erhaltenen Altstadt, von der jungen Kulturszene (nein, nicht nur Thomas Mann und Günter Grass sind »aktiv«) – und natürlich auch von der Meernähe. Den genialsten Ausblick über die Lübecker Bucht hat man übrigens vom Brodtener Steilufer in Travemünde, und zwar vollkommen gratis.
2. Wie recherchiert man eigentlich so einen subjektiv geschriebenen Reiseführer? Wir könnten uns vorstellen, dass einen der Rechercheberg zu Beginn fast erdrückt …
Thomas Schröder, ein Kollege, der einen Mallorca-Bestseller geschrieben hat, hat es einmal so ausgedrückt: »Ein Reisebuch zu schreiben, ist so, als müsste man den Mount Everest mit einem Zahnstocher abtragen.« Auch wenn es realiter ein wenig leichter ist – man fühlt sich genau so. Zumal man wirklich von Pontius zu Pilatus laufen und alle reiserelevanten Tipps herausfinden und überprüfen muss: vom kostenlosen Kanutrip auf der Trave bis zu abseitigen Themen wie einem Hünengrab in Kücknitz oder dem Grenzmuseum in Schlutup. Was viele nicht wissen oder wieder vergessen haben: Lübeck war Grenzstadt zur DDR.
Außerdem sind die Müllerbücher auch immer Lesebücher. Deshalb war es mir neben den Tipps und Einschätzungen auch wichtig, mich in die spannenden Details der wilden Stadthistorie einzuwühlen, einen unterhaltsamen Stil zu pflegen (auch das kostet Zeit!) – und zu werten, welche Sehenswürdigkeiten man eher nicht besuchen sollte. Da kommt dann schon mal ne böse Mail von der Stadtverwaltung … Doch damit muss man leben, denn als Autor sollte man seinen Lesern verpflichtet sein, niemanden sonst.
3. Ihre Zuneigung zur kleinen, sympathischen und so gut erhaltenen Hansestadt ist unüberhörbar. Sie haben Ihre Wahlheimat sogar als »Mini-Metropole« bezeichnet – warum?
Dieser Begriff drängte sich auf, als ich schon mehr als zwei Drittel des Buches recherchiert und geschrieben hatte. Denn: Im Gegensatz zu Hamburg oder Berlin gibt es in Lübeck alles genau einmal. Es gibt genau einen Ein-Sterne-Koch in der Altstadt (zugegeben, es gibt inzwischen zwei weitere in Travemünde mit zwei und sogar drei Sternen), ein richtig geniales Museum (das Willy-Brandt-Haus), einen Strand-Salon an der Trave (man genießt an lauen Sommerabenden den Blick auf die Stadtsilhouette), ein cooles Café mit Metropolcharakter (das Cole Street mit dem besten Latte Macchiato weit und breit) – und tatsächlich auch eine alternative Wohnwagensiedlung … Lübeck ist alles – im Kleinformat.
4. Wie testet man Restaurants und Hotels? Gibt man sich zu erkennen?
Besser man tut das nicht. Warum? Nur wer jedes Restaurant inkognito testet und den Hoteliers erzählt, dass man die Zimmer sehen will, weil die Schwiegereltern zu Besuch kommen würden, erfährt Dinge, die man als Journalist oder Autor nicht zu hören bekommt. Lediglich bei Museen gebe ich mich zu erkennen, doch behalte ich mir vor, kritisch zu sein. Da man sich als Urlauber nur durchschnittlich zwei bis drei Tage in Lübeck aufhält, darf man als ehrlicher Autor das besagte Holstentormuseum mit seinen spärlich beschrifteten Exponaten nicht empfehlen. Die Leser wollen die echten Highlights und Geheimtipps sehen, nicht das Klischee, das sie schon kennen.
5. Provokante Frage zum Schluss: Hat sich der enorme Aufwand gelohnt? Würden Sie wieder einen Reiseführer verfassen?
Unbedingt. Ich kann mir keine andere Arbeit vorstellen, bei der man so viele Erkenntnisse über den Menschen und das Biotop Stadt bekommt wie hier. Plötzlich läuft man mit einem anderen Blick durch die Welt und versteht Zusammenhänge, an die man niemals zuvor gedacht hat. Wenn einen dann noch angenehme Leserbriefe erreichen, weiß man genau, weshalb man sich den ganzen Stress gegeben und nicht auf halber Strecke die Nerven verloren hat.