Die 39. Folge unserer „Abseits der Routen“-Reihe stammt von Martin Pundt. Diesmal geht es in den Norden von Vancouver Island, das sich an der Westküste Kanadas im Pazifik erstreckt. Die Kollegen von Lonely Planet wählten die Insel 2022 in ihre Top-10-Liste, und das renommierte Reisemagazin „Condé Nast“ setzte die Insel- und Provinzhauptstadt Victoria 2023 sogar auf Platz 1 aller Städteziele weltweit. Doch Martin Pundt, der auch Reiseführer zu Westkanada und zum Großraum rund um Vancouver und Seattle verfasst hat, zieht es immer wieder in den einsamen, kaum besiedelten Inselnorden. Hier verrät er seine schönsten Tipps, um Vancouver Island „off the beaten path“ zu entdecken.
Am kleinen Flugplatz von Port Hardy herrscht Betrieb: Am Gate 1 schieben Anzugträger auf dem Weg zum Meeting in Vancouver routiniert ihre Aktenkoffer durch das Röntgengerät. An Gate 2 dagegen heißt es nur: „Bitte alle Waffen sichern ...“. Nur eine Handvoll Fluggäste – meist im karierten Holzfällerhemd – gehen ohne Kontrolle über das Vorfeld zu einem Flugzeug, dem man sein Alter ansieht: Die 9-sitzigen Flugboote vom Typ Grumman Goose wurden zwischen 1937 und 1941 gebaut, sie können an Land ebenso starten und landen wie auf dem Wasser.
Jedes Luftfahrtmuseum wäre stolz auf ein solches Exponat – aber hier sind die Maschinen noch im Einsatz. Als Besucher aus Europa wird man gerne auf den Co-Piloten-Sitz eingeladen.
Etwa 3 Std. braucht der Pilot für den „Rivers Inlet Run“ mit meist drei bis fünf Stopps: Mal benötigt eine Fishing Lodge einen Klempner, mal ein Holzfäller-Camp ein Ersatzteil oder ein indigenes Dorf Medikamente. Ich starte zu einer Woche im wilden Norden. Der Lärm ist ohrenbetäubend, die Wasserlandungen sind eindrucksvoll – authentischer wird es nicht auf Vancouver Island.
Die Strathcona Park Lodge bietet sich als erster Stopp an. Die familienfreundliche Lodge am Upper Campbell Lake ist ein Paradies für Ziplining, Felsklettern, Kanu und Kajak. Der Strathcona Park ist so groß wie das Saarland! Einen Tag nehme ich mir für die 60 km nach Gold River, das bereits an einem Fjord der Insel-Westküste liegt.
Mit der „M/V Uchuck III“ tauche ich ein in den dramatisch-schönen Nootka Sound. Das ehemalige Minensuchboot befördert heute Fracht und Passagiere wie mich zu den abgelegenen Außenposten und setzt mich dort auch mitsamt dem Kajak ab. Nach einer entspannten Tour durch die ruhigen Gewässer des Küsten-Regenwaldes verstehe ich endlich den Namen des Schiffes: In der Sprache der Nootka First Nations bedeutet Uchuck „heilende Wasser“.
In Port McNeill quartiere ich mich beim Freisinger Rolf Hicker ein, der hier das Bed & Breakfast The Artists Point betreibt. In den 90ern füllte Rolf mit seinen Kanada-Multivisionsshows die deutschen Stadthallen – heute zeigt mir der Profi-Fotograf dank Boot und Geländewagen Grizzlys und Seeotter im Original. Klasse und ebenfalls nur für Kleingruppen sind auch die preisgekrönten Touren von Sea Wolf Adventures: Dank Mike Willie und seinem Team habe ich sowohl die indigene Perspektive als auch das ökologische Zusammenspiel im Great Bear Rainforest verstanden.
Per Fähre setze ich über zu zwei kleinen Inseln: zunächst nach Alert Bay auf Cormorant Island, dem Zentrum der Kwakwa̱ka̱ʼwakw First Nation.
Ihr U’mista Cultural Centre ist einer der besten Orte, um sich mit der jahrtausendealten Kultur der Ureinwohner vertraut zu machen, denn hier, am Standort eines Umerziehungsinternats (Residential School genannt), wird deutlich, welche Kultur zerstört und wie sie zum Teil zurückgewonnen wurde: Den Kwakwa̱ka̱ʼwakw gelang es, geraubte Kunstwerke und Masken aus aller Welt wieder zurückzuholen – auch aus Deutschland.
Einen ganz anderen Blick in die Geschichte erlaubt mir Sointula auf der Nachbarinsel Malcolm Island. 1901 ruderten finnische Bergleute von den Kohleminen in Nanaimo nach Norden, um hier eine sozialistische Kommune aufzubauen. Noch heute werden der General Store, die Bäckerei und andere Unternehmen als Kooperative geführt. Mit dem Fahrrad komme ich hier zur – natürlich! – finnischen Gemeinschaftssauna sowie zum Bere Point, wo ich Schwertwale am Rubbing Beach beobachte. Aus noch unbekannten Gründen schwimmen die Wale bis auf den Strand, um sich dort an den Steinen zu reiben.
Schließlich bin ich wieder zurück in Port Hardy. Längst ist es für mich mehr als nur eine Zwischenstation in Richtung Alaska. Das indigen geführte Kwa’lilas Hotel ist die modernste Unterkunft des Ortes; auf Wanderwegen bin ich unterwegs zum Hafen, durch Wald zu Stränden und zur Lachsaufzuchtstation.
Und auch nach vielen Jahren zieht es mich immer wieder in den Cape Scott Provincial Park mit dem karibisch-weißen Sandstrand in der menschenleeren San Josef Bay. Mein Weg dorthin ist nicht ganz einfach: Erst eine gute Fahrt über eine Schotterpiste, für die viele Mietwagenanbieter keinen Versicherungsschutz gewähren (es gibt auch organisierte Tagestouren).
Nach einem Stopp im kleinen Pub von Holberg sind es noch einmal 45 bis 60 Minuten zu Fuß durch den Regenwald zum Strand. Doch das Ziel ist umwerfend – wie die ganze Reise in den Norden der Insel.
Anreise: Aus Europa fliegt man am besten Vancouver an, von
dort mit Mietwagen und Fähre nach Vancouver Island. Mit einem Weiterflug nach
Campbell River oder Port Hardy kann man die Anreise um einige Stunden verkürzen
(www.pacificcoastal.com); auch an diesen beiden Flughäfen gibt es Mietwagen ab etwa 400 €/Woche (www.sunnycars.de).
Nur mit Auto oder Wohnmobil lässt sich die Region gut
entdecken – das Busnetz ist zu dünn.
Reisezeit: Am besten von Mai bis September, das sind die trockensten und wärmsten Monate.
Übernachten: Ein Familienzimmer in der Strathcona Park Lodge (www.strathconaparklodge.com) kostet in der Hochsaison ab 149 CAD, wobei ein Grundprogramm inklusive ist. In Rolf Hickers Artists Point (www.theartistspoint.com) schläft man ab 259 CAD mit Meerblick, im Kwa’lilas Hotel ab 239 CAD (www.kwalilashotel.ca).
Vor Ort unterwegs: Der Flug mit Wilderness Seaplanes (www.wildernessseaplanes.com) kostet aktuell 330 CAD und wird täglich (außer Sa) durchgeführt. Maximal zwei Personen – der Rest ist den Locals vorbehalten.
Die „M/V Uchuck III“ (www.getwest.ca) startet ganzjährig jeden Dienstag in den Nootka Sound (95 CAD), zwischen Mai und Oktober auch Mi und Sa (je 121 CAD). Nur von Juni bis Sept. im Angebot: Eine 2-Tages-Tour mit Übernachtung in der indigenen Siedlung Kyuquot (995 CAD für 2 Pers.).
Die exklusiven Tagestouren mit Rolf Hicker (www.vancouverislandtours.info), aber auch die Ausflüge mit Sea Wolf Adventures (www.seawolfadventures.ca) sollten unbedingt lange im Voraus gebucht werden. 300–1000 CAD für eine Halb- oder Ganztagestour, außerdem sehr attraktive Packages – so kosten z. B. bei Sea Wolf zwei Tagestouren plus zwei Übernachtungen im Kwa’lilas Hotel ab 1195 CAD pro Person.
BC Ferries (www.bcferries.com) verbindet Port McNeill je 6 x tägl. mit Alert Bay und Sointula. Hin/zurück 11,25 CAD. Das Auto lässt man besser in Port McNeill – die Inseln lassen sich gut zu Fuß entdecken. Das U’Mista Cultural Centre (www.umista.ca) ist bis auf wenige Feiertage ganzjährig tägl. von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Eintritt 15 CAD.
Alle Leistungen lassen sich über das Internet direkt
reservieren oder anfragen. Wer auf Nummer sicher gehen will, bucht aber bei
Spezialveranstaltern für Individualreisen, z. B. bei www.invatarru-tours.de.