Die Welt der Westfjorde ist eine ganz eigene Welt – in Island. Was man dafür vor allem braucht: Zeit. Sonst entgehen einem womöglich die grandiosen Ausblicke bis nach Grönland, ein Seemonstermuseum, der höchste Wasserfall der Westfjorde und die heißen Naturpools, die Island berühmt gemacht haben. Und von den Tierbeobachtungen war noch gar nicht die Rede! Christine Sadler, Co-Autorin unseres Island-Reiseführers, hat den Inselstaat im äußersten Nordwesten Europas mehrfach monatelang bereist.
Wer von der Island umrundenden Ringstraße in Richtung Westfjorde abbiegt, hat ein mindestens 800 Kilometer langes Roadmovie vor sich.In Hólmavíkan der mit Treibholz übersäten Strandirküste im Osten beispielsweise erfährt man beim Besuch des Zaubermuseums etwas über die Hexerei und Magie, die Teil der germanischen Religion war und sich in dieser abgelegenen Region besonders lange hielt. Und das liebevoll aufgezogene Schafzucht-Museum nahe Hólmavík informiert über die wolligen Tiere, denen man in Island überall begegnet.
Grandiose Ausblicke bis Grönland
Grandiose Ausblicke sind einem in den Westfjorden sicher, vor allem am großen Fjord Ísafjarðardjúp mit seinen zahlreichen Seitenfjorden. Der Blick reicht bis zu den schneebedeckten Bergen des Küstenstrichs Snæfjallaströnd. Zuvor schaut man auf die Insel Vigur, die nur von einer einzigen Familie bewohnt ist und auf der im Sommer an die 30.000 Papageitaucher brüten. Seehunde aalen sich direkt vor der Küste. Mit Glück schießt sogar ein Wal aus dem Wasser.Durch den Ort Súðavík mit seinem Polarfuchszentrum hindurch gelangt man nach Ísafjörður, dem charmanten Hauptort der Westfjorde mit sehenswerten Museen und Holzhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert.
Einmal bis nach Grönland schauen? Das kann man an klaren Tagen angeblich vom Aussichtsberg Bolafjall aus. Dieser ragt hinter Bolungarvík, nur eine kurze Fahrt von Ísafjörður entfernt, direkt an der Küste 634 Meter in die Höhe und lässt sich zu Fuß sowie im Sommer auch mit dem Pkw erklimmen. Auf dem Weg nach Bolungarvík lohnt ein Stopp bei der originalgetreu wiederaufgebauten, malerischen Fischereistation Ósvör, die Einblick gibt in die Zeit des Fischfangs mit offenen Ruderbooten. Damals, vor nur rund 100 Jahren, hielt mit Fischöl imprägnierte Kleidung aus Schafhaut die Fischer trocken.
Ein Seemonstermuseum und der höchste Wasserfall der Westfjorde
Im Westen geht es über die Berge hinweg von Fjord zu Fjord: Ein steiler Pass folgt dem nächsten. Und hier lockt in jedem Fjord ein Fischerort.Zu verweilen lohnt es sich z. B. in Flateyri mit seinem »Alten Buchladen« von 1905, heute sowohl originelles Geschäft als auch Museum; in Þingeyri mit einem der schönsten Cafés im Land; in Bíldudalur mit seinem kreativen Seemonstermuseum, das hier nicht ohne Grund steht – fast jeder in der Gegend kennt irgendeine Erzählung über Seemonster.
Auf dem Weg nach Bíldudalur lädt zudem einer der schönsten Wasserfälle des Landes zur Erkundung ein: der wie ein Schleier über die Basaltkante fallende Dynjandi, der höchste Wasserfall der Westfjorde. Im Reykjafjörður(»Rauchfjord«) kurz vor Bíldudalur sollte man für ein kostenloses Entspannungsbad mit Fjordblick in einem überraschend auftauchenden Schwimmbecken und einem natürlichen heißen Pool anhalten.
Hot Pots und eine Heringsfabrik
Überhaupt, das Baden: In den Westfjorden laden vielerorts recht einsam zwischen Bergen und Meer gelegene heiße Pools, die sogenannten Hot Pots, zum Aufwärmen ein. So lohnt sich etwa bei Tálknafjörður im Südwesten das Hot-Pot-Ensemble am Hang und bei Norðurfjörður im Nordosten das Bad Krossneslaug am Treibholzstrand. Letzteres ist nur über eine kurvige Schotterpiste zu erreichen, eine rund 90 Kilometer lange, abenteuerliche Stichstraße, die in dramatischer Kulisse zwischen der Steilküste zur einen und den hoch aufragenden Bergen zur anderen Seite entlangführt.
Auf dem Weg passiert man Djúpavík, einen so gut wie verlassenen, winzigen Ort mit großer, verwitterter Heringsfabrik. In der Hering-Ära zu Beginn des 20. Jahrhunderts war dies eine der fortschrittlichsten Heringsfabriken Europas. Heute bieten die Inhaber des zauberhaften Hotels Djúpavík spannende Führungen durch die Fabrik an, die auch für Kunstausstellungen genutzt wird.
Ein Vogelfelsen, ein Gletscher und ein Wanderparadies
Djúpavík und Krossneslaug zählen zu den Glanzlichtern der Westfjorde, die weit abseits der Hauptstrecke liegen. Wer sie auslässt, verpasst viel – so auch den 14 Kilometer langen Vogelfelsen Látrabjarg mit der weltgrößten Tordalkenkolonie, den Gletscher Drangajökull und das nur per Fähre zu erreichende, große Wanderparadies Hornstrandir, in dem keine Menschen, dafür aber Polarfüchse leben. Noch viele andere Plätze in den Westfjorden laden zum Wandern ein, die Fjorde zum Kajakfahren. Deshalb bringt man in diese großartige Wasser- und Bergwelt am besten vor allem eines mit: Zeit.
Reisepraktische Infos
Seit im Herbst 2020 im Westen ein Tunnel zwischen den Fjorden Dýrafjörður und Arnarfjörður eröffnet wurde, ist eine Rundfahrt um die Westfjorde das gesamte Jahr über möglich. Der steilste Pass der Westfjorde, der etwa 120 Tage im Jahr wegen Schnee unpassierbar war, muss jetzt nicht mehr bezwungen werden. Die geschotterten Stichstraßen, die zu spektakulären Zielen wie Djúpavík führen, sind jedoch nur im Sommer befahrbar.
Regelmäßige Fährverbindungen nach Hornstrandir werden im Sommer vor allem von Ísafjörður aus angeboten, www.westtours.is. Die Fähre Baldur zwischen Brjánslækur in den Westfjorden und Stykkishólmur auf der Halbinsel Snæfellsnes fährt Mitte Juni bis Ende August 2-mal tägl., den Rest des Jahres So-Fr je 1-2-mal; www.seatours.is. Fahrzeugplätze müssen vorgebucht werden.
Die Museen haben im Sommer (Juni bis Aug. oder Mitte Mai bis Mitte Sept.) tägl. geöffnet, danach eingeschränkt oder gar nicht.