Die größte Insel des Mittelmeers ist weit mehr als ein bloßes Anhängsel des italienischen Stiefels. Über Jahrtausende war Sizilien Zankapfel und wechselnder Besitz einer schier endlosen Zahl von Eroberern. Ob sie nun aus dem Orient kamen oder aus dem Okzident – ihre Einflüsse haben Sizilien und die Sizilianer nachhaltig geprägt. Araber, Griechen, Römer, Normannen, Staufer, Franzosen und Spanier, wohl nirgendwo in Europa kam es zu einer solch ausgeprägten Vermischung von Kulturen wie auf Sizilien. Viele der Spuren, die sie hinterlassen haben, sind heute bei der UNESCO als Welterbe gelistet. Thomas Schröder, Autor unseres umfassenden Sizilien-Reiseführers, kennt die schönsten Ziele auf und neben der Insel, vom prachtvollen Tempel bis zum schönsten Strand.
Die Herrschaft der Normannen nach ihrer Eroberung Siziliens von den Arabern währte kaum mehr als ein Jahrhundert und endete bereits 1194. Dennoch hinterließen die Nordländer erstaunliche Kunstschätze. In der Architektur ihrer Kirchen finden sich neben normannischen auch islamische und byzantinische Einflüsse, im Inneren der Gotteshäuser begeistern großflächige, goldglänzende Mosaiken. Eindrücklichste Zeugnisse dieses faszinierenden Stilmix sind Palermos Capella Palatina und der Dom von Monreale, beide als Weltkulturerbe ausgewiesen.
Ein Archipel für Ästheten. Die „sette perle“ (sieben Perlen) vor Siziliens Nordküste sind mit Fähren und schnellen Tragflügelbooten gut zu erreichen. Jede besitzt ihren eigenen Charme, von der blitzblanken „Millionärsinsel“ Panarea über das grüne, fruchtbare Salina bis zur lebendigen Hauptinsel Lipari. Der vulkanische Charakter der Inselgruppe wird bei einer Kraterbesteigung auf Vulcano deutlich, ebenso (auch wenn der Gipfel des Vulkans aktuell gesperrt ist) auf Stromboli. Prächtige Panoramen bieten alle Inseln. Der Ausblick von Liparis Belvedere Quattrocchi hinüber nach Vulcano ist sogar dermaßen bezaubernd, dass man sich hier „vier Augen“ wünschen soll – daher der Name.
Schon früh hatten griechische Händler und Seefahrer ein Auge auf Sizilien geworfen, ab dem 8. Jh. v. Chr. entstanden erste unabhängige Kolonien. Schnell wurden sie so mächtig, dass sie sogar ihr Mutterland übertrafen. Der Reichtum manifestierte sich in prachtvollen Tempelbauten, die bis heute zu den Wahrzeichen Siziliens zählen. Agrigentos Tal der Tempel steht bereits seit 1997 als „eines der herausragendsten Denkmäler der griechischen Kunst und Kultur“ in der UNESCO-Welterbeliste. Noch ausgedehnter (und weniger stark besucht) sind die Reste der Griechenstadt Selinunte. Großartig in die Landschaft fügt sich der griechisch beeinflusste Tempel von Segesta, ein nie fertiggestellter Solitär.
Mongibello, den „Berg der Berge“, nennen ihn die Sizilianer. Der mehr als 3300 m hohe Riese drückt einem guten Teil der Insel seinen Stempel auf. Meist erfreut Europas größter Vulkan die Siedlungen an seinen Hängen mit der Fruchtbarkeit seiner Lavaasche. Aber wehe, der Etna zürnt: Immer wieder zerstörten seine Ausbrüche ganze Dörfer, 1669 wurde halb Catania unter Lava begraben. Bei schönem Wetter und guter Laune des Feuerbergs lohnt sich die Auffahrt zur Bergstation Rifugio Sapienza, von der eine Seilbahn und Allradbusse in höhere Sphären des Vulkans fahren; eine Alternative bildet die Umrundung des Etna mit der Kleinbahn Circumetnea.
Siziliens traditionsreichster Ferienort ist Taormina, bereits von Goethe gepriesen und im 19. Jh. von zahlreichen Schriftstellern und Dichtern besucht. Das traumhafte Bild des griechisch-römischen Theaters vor dem Hintergrund der weit geschwungenen Ostküste und des rauchenden, oft bis in den Frühsommer schneebedeckten Etna bildet die wohl berühmteste Sizilienansicht überhaupt. Nur an guten Stränden mangelt es Taormina ein wenig. Mit denen wiederum kann Cefalù punkten, ein weiteres reizvolles Urlaubsstädtchen, dessen pittoreske Altstadt sich unter die weithin sichtbare Rocca di Cefalù duckt – neben diesem riesigen Felsen wirkt sogar der große Normannendom von Cefalù fast winzig.
1693 verwüstete ein schreckliches Erdbeben in Südostsizilien ganze Städte. Der Wiederaufbau, geplant von Siziliens besten Architekten, erfolgte zeitgleich, wodurch ihr Stadtbild besonders harmonisch und wie aus einem Guss wirkt. In Ragusa-Ibla, Mòdica und Noto bildet das Zusammenspiel von Adelspalästen und Kirchen, weiten Treppenaufgängen und skurrilen Balkonkonsolen eine perfekte Bühne für das genießerische Lebensgefühl des Barock. Seit 2002 sind diese und andere Barockstädte im Südosten als Weltkulturerbe ausgewiesen.
In weitem Bogen schwingt sich der breite, feinsandige Strand von San Vito vom Ortskern nach Osten. Satte zwei Kilometer lang, feinsandig und mit kristallklarem Wasser, fällt er nur flach ab und ist deshalb perfekt auch für Kinder. San Vito lo Capo selbst, am Ende einer Stichstraße im äußersten Nordwesten Siziliens gelegen, ist einer der liebenswürdigsten und auch architektonisch angenehmsten Ferienorte der Insel.
Erst im 20. Jh. komplett ausgegraben wurde diese spätrömische Luxus-Villa bei Piazza Armerina, die fast 50 Zimmer besitzt und seit 1997 als Welterbe ausgewiesen ist. Ihre farbenprächtigen, wunderbar erhaltenen Bodenmosaiken erstrecken sich über mehr als 3500 Quadratmeter und erzählen detailliert von griechischer Mythologie, Wagenrennen und der Großwildjagd in Afrika. Auch die „ersten Bikinis der Geschichte“ sind zu bewundern, ebenso eine (jugendfreie) „erotische Szene“. Laut der UNESCO handelt es sich um „die schönsten in situ verbliebenen Mosaiken in der römischen Welt“.
Die „Wachtelinsel“ Ortigia ist das uralte Herz von Siracusa, einst die mächtigste Metropole der westlichen Welt, an deren Mauern sich sogar Athen eine blutige Nase holte. Die barocken Palazzi, engen Gässchen und weiten Plätze von Ortigia atmen Geschichte, der Dom war einst ein griechischer Tempel, dessen Säulen heute noch zu erkennen sind. Ortigia ist klein und fast autofrei, ideal für Streifzüge zu Fuß, bei denen zwischen den alten Mauern immer wieder das Meer aufblitzt. Besonders romantisch ist die Atmosphäre am Abend.
Siziliens ältester Naturpark erstreckt sich küstennah im Nordwesten der Insel, eine urwüchsige Landschaft der steilen Kalkberge und brüsken Felsstürze, die Höhen bis über 900 m erreicht. Ein Charakteristikum der kargen, fast steppenähnlichen Vegetation sind die hier sehr häufigen Zwergpalmen, die einzige einheimische Palme Europas und das Wahrzeichen des Parks. Der Zingaro ist durch Wanderwege gut erschlossen. Am beliebtesten ist die küstennahe Route zwischen den beiden Eingängen im Süden und im Norden, die zu einer ganzen Reihe herrlicher Badebuchten führt.