Unsere Autorinnen und Autoren sind bekannt dafür, dass sie tief recherchieren und ihre Reisegebiete wirklich erkunden. Das trifft auch auf Antje und Gunther Schwab zu, die schon sieben Reiseführer für uns verfasst haben. Diesmal haben sich die zwei Reisejournalisten auf Kárpathos umgesehen und erzählen von einer nachhaltigen Tour, die das Dorfleben und die Emanzipation im abgelegenen Inselnorden begreifbar macht. Es geht um Ziegenleder, ein Windmühlenviertel und eine Nudelspezialität, an der sich die beiden – mit einiger Mühe – selbst versuchen …
Energisch schüttelt Evangelía Agapíou den Kopf. Nein, einfach sei es nicht, das ganze Jahr auf Kárpathos zu leben! Schon gar nicht im abgelegenen Norden der Insel, wo es nur das Bergdorf Ólympos und seinen Hafen Diafáni gibt. Trotzdem würde sie niemals woanders wohnen wollen. Hier seien die Traditionen erhalten geblieben wie in kaum einer anderen Region in Griechenland – auch wenn Evangelía wie alle anderen Frauen ihrer Generation lieber in Jeans und T-Shirt als in Tracht herumläuft …
Evangelía hat vor einiger Zeit in Diafáni die Ein-Frau-Agentur Ecotourism Kárpathos gegründet. Nachhaltigkeit ist der außerordentlich naturverbundenen jungen Frau wichtig. So möchte sie, dass man als Besucher das Leben in ihrer Heimat wenigstens ein bisschen versteht – und nicht nur für ein paar pittoreske Fotos und einen schnellen Kaffee von den Badeorten im Süden und der Inselmitte nach Ólympos kommt. Leider höre man von verbitterten Olymbiten immer wieder die Worte „Wir sind wie exotische Tiere im Zoo“. Und es ist ja auch so: Mit dem malerischen Ólympos wirbt die Tourismusbranche auf Kárpathos. Das große Geld wird aber anderswo auf der Insel verdient.
Wir haben
uns mit Evangelía und einem Urlauberpaar am Parkplatz vor dem Dorf getroffen. Dort,
wo die Autos abgestellt werden und man nur zu Fuß oder mit dem Esel durch die
Gassen kommt. Giulia und Marco aus Padua sind zum ersten Mal auf Kárpathos und
wollen mit Evangelía eine geführte Tour durch Ólympos unternehmen.
Schon
auf den ersten Schritten begegnen wir älteren Frauen in der Tracht, die schon
seit Menschengedenken getragen wird. Eine von ihnen ist Sofía, deren Haus wir
betreten. Geduldig steht sie still, damit Evangelía erklären kann, woraus die Kleidung
besteht: ein weißes Gewand mit handbestickten Borten an Stehkragen, Saum
und Bündchen und eine blumenverzierte Schürze. Darüber trägt sie einen graublauen
Mantel, wieder von Borten gesäumt. Stiefel aus braunem Ziegenleder reichen
fast bis an die Knie.
Zum
Glück, lacht Sofía, haben wir Olymbitinnen dann auch noch unser Kopftuch. Als
sie es lüftet, wird klar, was sie meint. Schließlich werden so ihre langen
grauen Zöpfe verdeckt – das mit Blumenmuster verzierte schwarze Mandíli lässt
sie jünger erscheinen.
Ausgestattet
mit leckerem Mandelgebäck, das uns Sofía trotz aller Proteste eingepackt hat,
ziehen wir durch die Hauptgasse weiter. Nächster Halt ist beim Schuhmacher Jánnis.
Schon dessen Uropa, Großvater und Vater seien alle Schuster gewesen, erzählt
Evangelía. Nun sei er wohl der letzte, der die traditionellen Frauenstiefel,
die wir schon bei Sofía gesehen hatten, noch in Handarbeit herstelle und repariere.
40
Arbeitsstunden sind dazu nötig. Das helle Ziegenleder dafür stammt von karpathiotischen
Ziegen, und selbstverständlich erledigt Jánnis das Gerben selbst. Die
Stiefelspitze der Schuhe wird mit braunem, rotem oder schwarzem Leder
abgesetzt und mit farbigen Ziernähten verschönert.
Vorbei
an mehreren kleinen Souvenirläden kommen wir zu dem von Marína. Stolz öffnet sie
uns ihr Wohnhaus, das eigentlich nur aus einem einzigen hohen Raum besteht.
Zentrales Element ist das Soufá, ein etwa zwei Meter breites Holzpodest,
zu dem drei Stufen hinaufführen. In der Regel, so erklärt Evangelía, dient das
Soufá allen Mitgliedern der Familie zum Schlafen. Manche Eltern ziehen sich auch
auf das an einer Seite über dem Soufá gelegene Panosoúfi zurück.
Diesen
zweiten Holzboden erreicht man mittels zwei weiterer Stiegen. Babys legt man hier
in ein großes Tuch, das mit Schnüren an einem Deckenbalken befestigt wird. Aber
jeden Morgen, meint Marína mit gequältem Lächeln, beginnt dann das große
Aufräumen. Die Matratzen und Bettdecken müssen zusammengerollt werden, weil
der Raum tagsüber als Aufenthaltsbereich genutzt wird.
Und
schon ist sie in einem kleinen Anbau verschwunden, um in ihrer Küche einen
Kaffee für uns zuzubereiten, den wir auf einer Holzbank genießen.
So
gestärkt erreichen wir den trapezförmigen Dorfplatz und die Pfarrkirche. Der
Glockenturm ist durch ein bunt bemaltes Relief der Gottesmutter als
Olymbitin in traditioneller Tracht geschmückt.
Im
Innern nimmt einen der vollständig ausgemalte und mit Ikonen geschmückte Raum
sofort gefangen. An den Wänden sind kaum 30 Holzstühle fest angebracht. Viel zu
wenige für alle Besucher des Gottesdienstes, wie Evangelía erklärt. Nur Männer
lehnen darin. Die Frauen stehen, Emanzipation hin und Moderne her, dem Haupteingang
gegenüber in einem gesonderten Kirchenbereich.
Weiter
geht die Tour mit atemberaubenden Blicken aufs Meer und die Westküste von Kárpathos.
Unter uns liegt die Schule, die heute nur von etwa zehn Kindern besucht
wird. Aufgrund fehlender Einnahmequellen wandern immer mehr junge Bewohner von
Ólympos und Diafáni ab. Sich auf den kargen Feldern zu plagen wie die
Altvorderen, ist für sie keine Alternative.
Im
malerischen Windmühlenviertel haben wir die Gelegenheit, eine der wenigen noch
intakten Mühlen zu besichtigen. Und weil der richtige Wind weht, nicht zu
schwach, vor allem aber nicht zu stark, dreht sich quietschend das große Rad. Ganz
in der Nähe feuert gerade Kalliópi mit trockenen Olivenbaumzweigen einen der
zahlreichen gemauerten Steinöfen an. Sie sind überall im Dorf verstreut. Auf
einer langen Palette stehen Körbe mit riesigen kreisrunden Broten. Evangelía
erzählt uns, dass früher alle Frauen in Ólympos und Diafáni so ihre Brote
gebacken haben. Mehrere Familien eines Viertels teilten sich einen Backofen.
Heute
kaufen die meisten Familien das Brot den wenigen semiprofessionellen
Bäckerinnen wie Kalliópi ab. Sie setzt nach alter Tradition einen Teig aus
Weizen- und Gerstenmehl, Wasser, Sauerteig und Gewürzen an.
Hungrig
geworden kommen wir zur nächsten Aktivität, dem olymbitischen Kochkurs. Evangelía
führt uns zu ihrem Haus neben der familieneigenen Kapelle. Marco, ein Pastafan
der verschärften Sorte, strahlt schon über das ganze Gesicht. Es soll Makkaroúnes
geben, die karpathiotische Nudelspezialität.
Aus
Mehl und Wasser stellen wir einen geschmeidigen Teig her, den wir in kleine
Portionen teilen. Daraus formen wir dünne Teigwürstchen. Nun kommt der
schwierigste Teil: Wir ziehen eins nach dem anderen mit drei Fingern zu uns her
und lassen es wieder nach vorne schnalzen, damit die muschelartige Nudelform
entsteht. Mist, da ist schon wieder eines auf dem Boden gelandet!
Es
gibt viel Gelächter und einen Wettbewerb, wer die schönsten schafft – Evangelía
natürlich! Aber egal! Am Ende schmecken unsere Makkaroúnes, optisch perfekt
oder nicht, mit gebratenen Zwiebeln und viel geriebenem Käse vorzüglich.
Der Preis für eine zweistündige Dörfertour beträgt pro
Person 20 €, der Kochkurs wird mit 40 € berechnet.
Evangelía Agapíou bietet mit ihrer Agentur aber noch
viel mehr, auch für Natur- und Wanderfreunde. Unterstützt wird sie dabei von
ihrem Vater Minás, einem leidenschaftlichen Botaniker. Im März und April, wenn
auf Kárpathos alles grünt und blüht, führt er zu Plätzen mit endemischen
Pflanzen, insbesondere Orchideen. Im Frühling und im Herbst unternimmt
Evangelía Birdwatchingtrips, von Juni bis Oktober besteht zudem die Möglichkeit,
abends vom Boot aus Eleonorenfalken bei der Rückkehr zu ihren Nestern zu beobachten.
Besuche bei einem Imker, Wandertouren im unberührten
Norden der Insel, Teilnahme an der Olivenernte, eintägige oder mehrtägige
Touren mit dem Minivan ... Evangelía lässt sich ganz auf die Wünsche ihrer
Kunden ein. Infos unter www.ecotourism-karpathos.com,
Tel. 6949935881.