Michael Müller kennt Portugal wie seine Westentasche. Nicht nur, dass er einen Reiseführer über das Land geschrieben hat (21. Auflage!), er wollte sogar an die Algarve auswandern. Für diese und die nächsten Ausgaben unseres Newsletters hat unser Chef ein kleines Online-Projekt angestoßen. Darin porträtiert er in Lissabon lebende Deutsche und erzählt von ihren Lieblingsorten, die oft abseits der touristischen Zentren liegen.
Zur Person
Jürgen Strohmaier, geboren am 8. November 1956 in Duisburg. Er landete 1994 zusammen mit seiner Lebensgefährtin Lydia in Faro, der Provinzhauptstadt der Algarve, ganz im Süden von Portugal. Von dort aus unterstützten beide das EU-Projekt »In Loco«, welches dem unter Landflucht leidenden Hinterland neue Entwicklungsperspektiven aufzeigen sollte. Die beiden wollten daran mitarbeiten, und ein Magazin für Touristen sollte die wirtschaftliche Basis werden. Bald zeigte sich, dass Anzeigenkunden schwer zu bekommen waren. Danach kam ihnen die Idee, das ursprüngliche In-Loco-Projekt mit Leben zu füllen und Touristen die unbekannte Algarve zu zeigen, das dünn besiedelte Hinterland. Sie kauften zwei Minibusse, mit denen sie historische Stätten, alte Handwerksbetriebe und Kunsthandwerkmanufakturen ansteuerten. Doch auch dieses Projekt stockte.
Die kulturellen Verlockungen der Großstadt trieb das Paar 1999 nach Lissabon. Dort pulsiert das Leben zwölf Monate im Jahr, und die Besuchersaison bei Städtetouren ist länger. Hier betreuten Jürgen und Lydia Strohmaier viele Gruppenreisen von sozial orientierten Alternativveranstaltern, aber sie boten auch individuelle Führungen mit zwei bis acht Leuten an. Die bis heute älteste Teilnehmerin im anstrengenden »treppauf und treppab« der Alfama war übrigens 93 Jahre alt.
2002 schrieben die zwei Portugalliebhaber einen Reiseführer über die versteckten Schönheiten Nordportugals. Das Buch liegt inzwischen in 4. Auflage 2014 im Michael Müller Verlag vor und heißt schlicht »Nordportugal«.
2011 der tragische Einschnitt, Lydia verstarb im Alter von nur 52 Jahren an Brustkrebs. Seitdem muss Jürgen Strohmaier den Gästen alleine die schönste europäische Hauptstadt zeigen.
Jürgen Strohmaiers Lieblingsorte
Der Stadtteil Areeiro
Im Stadtteil Areeiro dominiert die Vorzeigearchitektur aus der Zeit des »Estado Novo«, des »Neuen Staates« unter der Führung des Diktators António Salazar. Die Baumeister bedienten sich dabei gerne beim deutschen »Generalbauinspektor« Albert Speer, den Salazars Hausarchitekt auch mehrmals in Berlin besuchte. Die meisten Bauten entstanden zwischen 1940 und 1960. In der Avenida de Madrid wurden an den Häusern Kachelbilder mit Szenen aus Stadtbildern von Madrid angebracht, denn dort herrschten mit der Clique um Diktator Franco auch Freunde des Geistes … Die meist drei- bis viergeschossigen noblen Mietskasernen beherbergen großzügig bemessene fünf Zimmerfluchten mit einem extra Treppengang für die Hausbediensteten; besonders Beamte durften die Eigentumswohnungen in der 1a-Lage genießen. In den Nebenstraßen finden sich auch kleinere Einheiten mit 75 Quadratmetern, die heute um die 725 Euro Miete kosten.
Die zum Himmel strebenden Gebäude um die Praça Francisco Sá Carneiro sollen eine moderne Interpretation der Gotik darstellen und an die Größe Portugals anknüpfen. Der Platz wurde erst in den 80er-Jahren nach Sá Carneiro benannt. Dabei handelt es sich um den Gründer der Sozialdemokratischen Partei (PPD), der gerade einmal elf Monate als Ministerpräsident im Amt war, als er 1980 bei einem Flugzeugabsturz kurz nach dem Start in Lissabon ums Leben kam. Es gab Hinweise zu einem Bombenanschlag oder einer Sabotage.
Zwei Adressen: Pastelaria Madrid, ein angenehm unspektakuläres Bäckereicafé mit eigener Herstellung. Typisch das Pão de Deus, ein süßes Hefeteigbrötchen mit Streuseln und Kokosflocken, auch die Schweinsöhrchen schmecken gut. Hier schätzt Jürgen auch besonders das preiswerte Mittagsgericht.
Teatro Maria Matos, eines von zwei Kommunaltheatern der Hauptstadt. Erwähnenswert ist die Bar im ersten Stock. Die moderne Einrichtung und die raffinierte Beleuchtung schaffen ein futuristisches Ambiente. Dazu kommt die Aussicht auf die Avenida. Av. Frei Miguel Contreiras 52.
Cova da Moura (Amadora)
Bereits zu Anfang der 70er-Jahre errichteten Einwanderer von der westafrikanischen Inselgruppe der Kapverden auf diesem Hügel am Stadtrand von Lissabon provisorische Hütten. 1974, nach der Revolution und den dadurch ausgelösten Wanderbewegungen aus den aufgegebenen ehemaligen Kolonien, fiel der Hügel vollständig unter die heikle Bebauung. In der noch immer illegalen Siedlung mit inzwischen fast schon stattlichen dreigeschossigen Häuschen leben etwa 7.000 Menschen.
Für Schlagzeilen in der internationalen Presse sorgten an einem Junitag 2005 Jugendliche aus Cova da Moura, indem etwa 500 von ihnen am helllichten Tag den gut besuchten Carcavelos-Strand überfielen, um die Badegäste auszurauben. Dies passierte, obwohl bereits in den 80er-Jahren die Belgierin Lieve (eigentlich Godelieve Meersschaert) in das Viertel zog und ein engagiertes Sozialprojekt ins Leben rief.
Zuallererst richtete sie eine kleine Bibliothek ein, nach ihrem Leitspruch »Ein Kind, welches das erste Buch liest, ist eine Revolution«. Von ihr wurden später noch viele weitere Initiativen gegründet, um der jungen Generation eine Perspektive zu geben: Kindergarten und Krippe, Grundschule, aber auch ein Tonstudio, in dem jugendliche Rapper ziemlich erfolgreich Musikstücke aufnehmen konnten.
Jürgen Strohmaier organisiert in Zusammenarbeit mit der lokalen Bürgerinitiative Spaziergänge durch das Viertel mit dem obligatorischen Mittagstisch Cachupa, einem Kichererbseneintopf, dem Nationalgericht der Kapverden.