Michael Bussmann und Gabriele Tröger sind bekannt dafür, dass sie ganz genau hinsehen. So wie in ihrem Reiseführer zu Potsdam. Wer einige der ausschweifend gebauten Wohnhäuser mancher Babelsberger Straßenzüge entlangläuft, trifft nämlich auf ein Who-is-Who der Zwanziger Jahre und der Nazizeit – mit all ihren widerlichen Verstrickungen und Verbrechen, die eines zeigen: So beautiful waren viele der dort lebenden People nicht. Allerdings gab es auch eine Diva mit Moral …
Mein lieber Scholli, hier wurde geklotzt und nicht gekleckert! Die Münder zum O geformt, stehen wir in der Karl-Marx-Straße von Neubabelsberg. Potsdam macht vielerorts auf dicke Hose. Hier, in dem pompösen Villenviertel am Ufer des Griebnitzsees, ganz besonders. The Great Gatsby lässt grüßen, nicht der Alte Fritz oder der Dicke Lüderjahn, wie sonst so oft in der Stadt. Neubabelsberg gehörte stets dem Geldadel, nicht dem Preußenadel.
Die vornehme Villenkolonie Neubabelsberg entstand ab Ende des 19. Jahrhunderts, namhafte Architekten zeichneten dafür verantwortlich. Hier lebten Bankiers und Industrielle, darunter viele Juden, die ab 1933 enteignet, vertrieben oder deportiert wurden. Stars und Sternchen aus der Filmbranche wurden ihre Nachfolger. Zu DDR-Zeiten trennte der Griebnitzsee Ost von West. Und die Villen gammelten, mit der Mauer vor der Nase, zweckentfremdet vor sich hin: als Kindergärten, Wohnheime oder Stasi-Einrichtungen.
Wo Truman, Stalin und Churchill logierten
Doch wo waren wir stehen geblieben? Genau, in der Karl-Marx-Straße, nur ein paar Gehminuten vom S-Bahnhof Griebnitzsee entfernt. In der feudalen Straße wohnt wieder das Kapital, wie einst, als die Straße noch den Namen »Kaiserstraße« trug. Während der Potsdamer Konferenz, der Dreimächtekonferenz im Sommer 1945, residierten hier auch die Staatschefs der USA, Englands und der Sowjetunion. Wo die Friedrich-Naumann-Stiftung sitzt (Hausnummer 2), pupste Harry S. Truman in die Federbetten. Von dort soll der amerikanische Präsident auch die Atombombe gen Hiroshima geschickt haben. Stalin hingegen wählte eine stolze Villa in Hausnummer 27, die 1910/1911 für den Pelzmantelproduzenten Paul Herpich erbaut worden war.
Und Winston Churchill? Der rauchte seine Zigarren ums Eck in der Virchowstraße 23 in einer neoklassizistischen Walmdachvilla. Diese war zwischen 1915 und 1917 für den jüdischen Bankier Franz Urbig errichtet worden, und zwar von keinem Geringeren als von Mies van der Rohe. Von seiner klaren Formensprache war der Funktionalismusgott damals allerdings noch weit entfernt. Heute lebt im Haus der SAP-Gründer und Kunstmäzen Hasso Plattner.
Die Verstrickungen in den Nationalsozialismus
Ebenfalls in der Virchowstraße (Hausnummer 3) blicken wir auf ein riesiges Anwesen mit Fachwerkgiebel. Es war unter anderem im Besitz des Rüstungsproduzenten Günther Quandt, dem es durch seine Nähe zu den Nazis und durch die Ausbeutung von Zwangsarbeitern gelang, eine der mächtigsten Wirtschaftsdynastien Deutschlands aufzubauen. Er bewohnte das Haus mit seiner 20 Jahre jüngeren Frau Magda, besser bekannt als Magda Goebbels – zwei Jahre nach der Scheidung von Günther Quandt heiratete sie Hitlers Chefpropagandisten. Goebbels, der sich bei den Beautiful People von Babelsberg ungemein wohlfühlte, trug übrigens auch den Spitznamen »Bock von Babelsberg wegen seiner zahllosen Affären mit jungen Ufa-Schauspielerinnen.
Zu den Neubabelsberger Celebrities gehörte auch die Schauspielerin Brigitte Horney, die am Johann-Strauß-Platz 11 eine bezaubernde (heute würde man "hyggelige« sagen) Backsteinvilla im englischen Landhausstil bewohnte. Der jüdische Seidenfabrikant Fritz Gugenheim ließ die Villa 1922 erbauen. Der noch bekanntere Filmstar Marika Rökk wohnte ums Eck in der Domstraße 28. Wie Günther Quandt unterhielt auch sie enge Beziehungen zur Nazi-Elite. Den Eingangsbereich ihres Hauses zierte angeblich ein Hitlerporträt. Vorher lebte der jüdische Ufa-Filmproduzent Alfred Zeisler darin. Er musste genauso vor den Barbaren fliehen wie der Tenor, Dirigent und Schauspieler Richard Tauber. Klingelt’s? »Dein ist mein ganzes Herz« gehörte zu seinen populärsten Liedern. Tauber wohnte nahebei, in einer schönen Villa mit zwei Torhäusern in der Rosa-Luxemburg-Straße 24.
Das weiße Schlösschen des Luftfahrtpioniers
Auf dem Rückweg zum S-Bahnhof Griebnitzsee schauen wir noch bei der Villa Lademann vorbei (Karl-Marx-Straße 66). Das weiße Schlösschen mit angedeuteten Zinnen wurde 1895 für den Generalleutnant Oskar Lademann errichtet. Architekt war Gustav Lilienthal, Bruder des Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal. In den 1930er-Jahren nutzte die Ufa das Haus als Gästehaus für Schauspieler wie Heinz Rühmann, Hans Albers oder Marlene Dietrich.
Ganz anders als die Rökk war Marlene Dietrich eine Diva mit Moral. Astronomische Filmgagen, die ihr vom Babelsberger Bock persönlich unterbreitet wurden, lehnte sie ab. Stattdessen nahm sie die US-amerikanische Staatsbürgerschaft an und wandte sich in BBC-Radiosendungen persönlich an deutsche Frontsoldaten: »Jungs, opfert Euch nicht! Der Krieg ist scheiße. Hitler ist ein Idiot.«