Ein gutes Mittel, um den Übertourismus zu entzerren, besteht darin, die allzu gängigen Stadtviertel zu meiden. Hampstead, im Nordwesten der Metropole, ist so ein Stadtteil, den man ohne Mühe erkunden kann. Das Wohnviertel, in dem sich mehrere Millionäre niedergelassen haben, war einst ein Quartier der Intellektuellen und Künstler, von denen einige hier noch leben. Ralf Nestmeyer, unser England- und Frankreich-Experte, hat sich genauer umgesehen.
Der im Londoner Norden gelegene Stadtteil Hampstead begeistert durch sein ländliches Flair. Man benötigt keine 20 Minuten mit der Tube, um von den Hochhäusern der City in diese andere Welt zu gelangen.
Das Künstlerviertel mit den vielen Professoren
Schriftsteller, Maler und Gelehrte liebten die dörfliche Atmosphäre des »Montmartre Londons«. In den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts kamen zahlreiche deutsche Emigranten wie Oskar Kokoschka, Sigmund Freud und Elias Canetti hierher. Einem zeitgenössischen Witz zufolge wurde einem schwerkranken Engländer ein Spezialist aus Wien empfohlen. Als er, da das beschriebene Haus keine Klingelschilder besaß, im Hinterhof kurz entschlossen »Herr Professor!« rief, öffneten sich alle Fenster des Mietshauses … Ein Pflichtbesuch führt alle Psychologen in die Maresfields Gardens, wo Sigmund Freud seine letzte Praxis betrieb – jetzt Freud Museum – und seine berühmte Couch zu bewundern ist.
Die einzigartige Lage von Hampstead hat stets die Literaten und Künstler angezogen. Der Lyriker Erich Fried lebte hier genauso wie Robert Louis Stevenson und John Galsworthy. Galsworthy erhielt 1932 für seine »Forsyte Saga« den Literaturnobelpreis, der noch zweimal nach Hampstead vergeben wurde: 1981 an Elias Canetti und 2007 an Doris Lessing, die in West Hampstead wohnte und die Glückwünsche zur Preisverleihung auf den Stufen vor ihrem Reihenhaus sitzend entgegennahm.
Eine grüne Lunge und drei Badeseen
Nicht versäumen sollte man einen Abstecher zur Hampstead Heath, der grünen Lunge des Viertels mit Weihern, Grashügeln und sogar einem Wald: Die 325 Hektar große Anlage bietet viel Platz, sich fern vom Lärm der Metropole zu erholen.
Das naturnahe Flair, das schon den Maler John Constable faszinierte, zieht nach wie vor die Londoner in seinen Bann. Doris Lessing fühlte sich an windigen Tagen gar an ihre Kindheit im afrikanischen Buschland erinnert. Lohnend ist ein Besuch des Kenwood House, ein stattliches Herrenhaus, das von einem herrlichen Park umgeben ist, in dem im Sommer Freiluftkonzerte stattfinden.
Wer will, kann die Badesachen einpacken: Es gibt nämlich drei »Bathing Ponds« (= Badeseen), einen besonders schönen nur für Frauen, einen nur für Männer – viel Gay-Publikum – und einen für beide Geschlechter. In der südöstlichen Ecke der Hampstead Heath Parks befindet sich zudem der Lido, ein ursprünglich aus den späten 1930er-Jahren stammendes Freibad, das nach seiner Renovierung mit einem Edelstahlbecken aufwartet.
Das Gebäude von Goldfinger
Am Rand der Hampstead Heath steht in der 2 Willow Road ein 1937 von Erno Goldfinger im Geist des Modernismus errichtetes Wohnhaus, das dem National Trust gehört und mitsamt seiner Sammlung moderner Kunst reizt.
Seinem Nachbarn, dem James-Bond-Autor Ian Fleming, gefiel das moderne Gebäude hingegen gar nicht, und so soll er dem Schurken in einem seiner Krimis den Namen »Goldfinger« gegeben haben … »Goldfinger« ist noch heute einer der berühmtesten James-Bond-Filme, vor allem wegen Gert Fröbe in seiner Rolle als goldgieriger Bösewicht. Doch das ist wieder eine ganz andere Geschichte.