Kann man aus der Geschichte lernen? Vielleicht eines: dass Regionalität und Weltoffenheit sich nicht ausschließen. Cibiana, ein kleiner Ort in den Dolomiten, lebt diese Einstellung. Seit 1980 bemalen Künstler die Außenfassaden der Häuser, wobei die Menschen hinter den Gebäuden sogar von mexikanischen, japanischen oder russischen Meistern in Szene gesetzt werden. Florian Fritz, Autor unseres Dolomiten-Reiseführers, hat sich in der 500-Seelen-Gemeinde umgesehen.
Cibiana, der kleine Ort in der Provinz Belluno, gelegen an der Passstraße vom Valboite zum Zoldano, ist einer jener italienischen Orte, die in den letzten Jahrzehnten mit beeindruckenden Außenfresken verziert wurden. Die 500-Seelen-Gemeinde gab bereits 1980 den Weg für die Künstler frei und stellte nur eine Bedingung: Die Darstellungen sollten möglichst mit Cibiana und am besten mit den Bewohnern der Häuser (und den Gebäuden selbst) verknüpft sein. Wer heute durch Cibiana läuft, stellt fest: Die Kunstwerke sind so verschieden und vielfältig wie die Häuser und Ecken, an denen sie einst entstanden.
An eine Wand sind beispielsweise zwei Frauen mit Holzpantinen und einer Kraxe gezeichnet. An ein anderes Haus »lehnen« sich zwei Straßenmusikanten, wenig später trifft man auf einen Auswanderer (»L’Emigrante«) aus früheren Jahrzehnten. Dann wieder ist das Fenster eines Gemäldes das reale Fenster des Hauses.
»Regionale« Wandgemälde von Künstlern aus aller Welt
Während in den ersten Jahren vor allem lokale Künstler zum Einsatz kamen, gibt es unter den mittlerweile 57 Gemälden auch Werke aus 16 (!) Nationen, darunter japanische, russische und mexikanische. So wurde der stille, abgeschiedene Ort gleichsam zum Synonym dafür, wie sich regionale Besonderheit betonen und erhalten, zugleich aber für die Welt öffnen und behutsam verändern lässt.
Den schönsten Blick auf die zwei der drei Ortsteile – das hochgelegene Pianezze und das im Tal verschachtelt daliegende Cibiana – hat man übrigens vom östlichsten Viertel Masariè aus. Dort befindet sich auch eine Schautafel, die Künstler und Kunstwerke nennt und verdeutlicht, wie sich die Häuser auf einem Spaziergang erkunden lassen. Dieser lässt sich gut vom kleinen Parkplatz gegenüber der Schautafel starten (wo sich ein unregelmäßig besetzter Infokiosk befindet).
Eine 45-minütige Reise durch Zeit und Kunst
In gemütlichen 45 Minuten lassen sich neben den Fresken noch zahlreiche verwunschene Winkel erkunden: uralte Gemäuer, bemalte Bänke und Stühle, phantasievolle Blumendekorationen in Ton- und Holzkästen oder ein Schlitten, der hoch in der Luft zwischen zwei Höfen hängt und geradewegs in die Wolken zu steuern scheint. Wer nach diesem entspannten Rundgang – wenn man so will, eine Reise durch Zeit und Kunst … – noch Lust auf Kulinarisches verspürt, kann in den Lokalen Remauro und Taulà dei Bos einkehren. Bei rustikaler Cadoriner Küche und einem kräftigen Wein könnte man sich darüber verlieren, dass es selbst in den gut besuchten Dolomiten noch besondere Entdeckungen zu machen gibt …